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Werkstattbericht Der letzte Engel
Vom Schriftsteller werden

Lieber Zoran, seit über zwanzig Jahren bist du jetzt freiberuflicher Schriftsteller und in dieser Zeit ist eine Vielzahl wundervoller, aufregender, überraschender und vielfältiger Texte entstanden. Was bedeutet es für dich, Autor zu sein? Was hältst du im Kern für deine Aufgabe?

Meine Aufgabe ist im Großen und Ganzen, ich zu sein und das, was mir begegnet, was in meinem Kopf herumspukt und mich nicht in Ruhe lässt, aufzuschreiben und in Geschichten zu formen, die mich auf eine mysteriöse Weise das Leben besser verstehen lassen. Ich verschicke keine Botschaften, verstecke sie auch nicht subtil zwischen den Zeilen oder predige oder meckere, weil ich mich von der Welt missverstanden fühle.

Mich treiben Ungerechtigkeit, Freundschaft, Verrat und Liebe an - und ich mache den Leuten gerne Angst, bringe sie zum Grinsen und rette sie aus den dunkelsten Ecken und bin ihr Held. Ich sehe immer auch das Dunkle im Menschen und versuche es zu verstehen, so wie ich immer das Licht sehe und wissen will, woher es kommt und was es dunkel macht.

Für mich ist Schreiben durchs Leben gehen, und dann sind da die fiktiven Charaktere, die mir begegnen. Ohne sie geht nichts. Sie werden mir wohl bis ans Ende meiner Tage ein Rätsel bleiben. Ein wenig ist es, als wärden sie in meinem Unterbewusstsein schlafen und nur darauf warten, dass eine Geschichte beginnt, die sie zum Leben erweckt. Danach kann sie niemand mehr halten. Inhalt und Spannung sind zwar immer eine gute Sache, aber ohne Charaktere wären das nur Ballons, die davonwehen. Charaktere binden die Geschichten, bringen sie auf den Boden, lassen sie atmen. Auch das ist mein Job: den Charakteren Leben geben und das Unmögliche möglich machen. Als Schreiber will ich vom Leser, dass er etwas von dieser Energie spürt, die mich und meine Charaktere umgibt und vorantreibt. Er soll mir beim Lesen nahe sein, ohne den abgespreizten Finger des Autors, ohne überhebliche Arroganz. Ich will auch nicht anbiedernd sein oder das Publikum bedienen. Das ist mein Job. Ich sein.



Wenn wir mal zurückblicken: Hast du immer gewusst, dass du Schriftsteller werden willst? Oder wann hast du es gewusst?

Ich habe nie daran gedacht, dass Schreiben mein Leben sein könnte. Ich dachte, entweder ist man Schriftsteller oder man ist es nicht. Einen Plan hatte ich also nicht wirklich. Ich war mehr der Typ, der mit fünf Jahren anfing zu lesen und vom ersten Tag an dieses magische Fenster in eine fremde Welt aufgestoßen hat. Es wurde eine Welt, die mir viel Schutz bot. Keine Ahnung, auf welcher Therapiecouch ich jetzt liegen würde, wenn mir Bücher damals nicht begegnet wären.

Uns wurde zu Hause nie vorgelesen. Es gab das Fernsehen, es gab die Groschenhefte meiner Mutter, die Fernsehzeitung und das war das traute Heim. Irgendwann kaufte meine Mutter rätselhafter Weise sechs Bücher vom Ramsch. Es waren gekürzte Fassungen von Robinson Crusoe, Die Schatzinsel, Der Baron von Münchhausen , Tom Sawyers Abenteuer, Robin Hood und Till Eulenspiegel. Vielleicht wollte sie mir was Gutes tun oder mich einfach nur zum Schweigen bringen, vielleicht stupste eine Muse meine Mutter in diese Richtung. Ich weiß es nicht, meine Mutter weiß es auch nicht mehr, aber es hat mein Leben verändert. Ich verschwand vollkommen in der Literatur, dabei war es mir vollkommen egal, was ich las. Ich musste es nicht verstehen, ich musste es lesen und in mich aufnehmen, darum ging es. Ein kurzer Blick durch das magische Fenster und ich war ein glücklicher Kerl. Mit zehn entdeckte ich dann die Welt der Horror-Groschenhefte und öffnete damit eine neue Tür. Zombies taumelten durch mein Zimmer, Vampire ließen mich schweißgebadet nach einem Kruzifix suchen, das Böse lauerte in den Schatten, aber das Gute war immer stärker.

Jetzt mal ehrlich, tief in meinem Inneren bin ich ein einfacher Kerl, dem die Grundbedürfnisse reichen - ich kann lesen, ich kann rechnen, ich kann kochen, mich über Bücher unterhalten, eine Glühbirne wechseln, Leuten zuhören und mir bei klassischer Musik die Ohren zuhalten. Aber Grundbedürfnisses sind nicht genug, wenn man ein Teenager ist und aufs Gymnasium geht. Die Lehrer fanden meine Einstellung keinesfalls witzig. Kurz gesagt: Ich war eine Pfeife, die sich mehr für Literatur als für chemische Formeln, den Wiener Kongress oder die Photosynthese von Kakteen interessierte. Ich hatte keine Ziele, keine Träume, keine Ambitionen. Ich wollte einfach nur jeden Tag ein neues Buch lesen, mehr wollte ich wirklich nicht.

Zu der Zeit fing ich mit dem Schreiben an. Ich war dreizehn und gnadenlos nervös, als wäre das Leben ein Mädchen, das mich ab und zu aus den Augenwinkeln ansieht und wartet, dass ich sie anspreche. Ich schrieb Gedichte über das Leben und Epen, die sich gequält reimten und so viel Pathos hatten, dass ich mit Übergewicht im Kopf durch die Gegend lief. Die Gedichte hörten sehr bald von sich aus auf, sich zu reimen, und verwandelten sich in Geschichten.

Zwischen meinem 13. und meinem 19. Lebensjahr kopierte ich alles, was ich las. Egal ob es tiefgehende Klassiker waren oder hirnverbrannter Trash, den man als Teenager verschlingt und der wie Zuckerwatte den Magen füllt. In dieser Zeit lernte ich eine der Grundregeln des Schreibens: Überrasch den Leser, wann immer du kannst, sei unberechenbar und zwischendurch witzig, denn wer witzig ist, kann den Leser noch viel besser überraschen, indem er ihm ganz unerwartet seine dunkle Seite zeigt.

Ich schrieb wie besessen, gleichzeitig wurde ich in der Schule immer schlechter und schwebte zwischen pädagogischen Anklagen und literarischen Höhenflügen und landete fett in der Realität, als ich mein Abitur vermasselte und die Schule ohne Abschluss verließ. Marius-Müller Westernhagen hat es schon Ende der 70 er gesungen: Wer will, der kann. Ich wusste nicht, was ich wollte, ich wusste nicht, was ich konnte, aber irgendwas war da draußen und wartete auf mich.

Also bin ich losgezogen und habe es gesucht.



Und wie ging es dann weiter?

Die erste große Entdeckung war Gregor Tessnow. Wir lernten uns über einen gemeinsamen Freund kennen. Gregor war witzig, er hatte einen ganz besonderen Humor und er war eine gnadenlose Quasseltasche. Irgendwas funkte zwischen uns, und wir beschlossen, uns zusammen zu tun. Ich erhielt zu der Zeit mein erstes Stipendium und Gregor hatte die brillante Idee, von meinem Geld zu leben. Sobald mein Geld alle war, wollte er Taxi fahren und Geld für mich reinholen, damit ich mich weiter dem Schreiben widmen konnte. Gesagt, getan. Neun Jahre zogen ins Land. Von 1989 bis 1997 hatte ich fast jedes Jahr ein Stipendium, aber keine Buchveröffentlichung war in Sicht. Es störte nicht. Ich lebte fürs Schreiben und musste keine Kompromisse eingehen und das Schreiben bedankte sich und ließ mich jedes Jahr zwei Bücher abschließen. Es war für mich nicht wichtig, in die Welt hinauszutreten und mir auf die Brust zu trommeln, es war wichtig, sich die Seele blutig zu schreiben und diese Energie zu spüren, die mir die Schriftstellerei gab. Und dann schickte ich Paul Maar eines Tages Im Regen stehen, und dann hat Paul das Buch weitergereicht und nichts geschah. Zwei Jahre später reichte er es noch einmal herum und Rowohlt biss an. Und so erschien mein erster Roman, dann der zweite, dann der dritte. Gregor hörte mit dem Taxifahren auf und versuchte sich selber am Schreiben. Sein Roman Knallhart entstand und wurde für das Kino verfilmt. Die Sonne schien auf uns herunter. Wir waren Schriftsteller.

Hast du jemals einen anderen Beruf ausgeübt?

Eine Weile hatte ich die Idee, dass Koch genau der richtige Job für mich wäre. Da war ich siebzehn und die Familie wollte langsam wissen, was nun aus mir werden würde. Dummerweise hörte ich gleichzeitig auf, Fleisch zu essen, und wer Koch werden will und nichts von Fleisch hält, der kann gleich eine Tankstelle aufmachen, die jeden Autofahrer bittet, er solle doch sparsamer fahren. Als die Kochidee verworfen war, versuchte ich in einer spontanen Aktion, Buchhändler zu werden. Die Buchhandlung war am Kaiserdamm direkt um die Ecke von unserer Wohnung und ich dachte, ich könnte die Leute dort sicher beeindrucken, weil ich ja Massen an Büchern verschlang. Ich also rein in den Buchladen, ich also: »Hallo, ich bin Zoran, ich wohn um die Ecke und wollte mal fragen, ob ich hier eine Ausbildung zum Buchhändler machen kann«. Sie sagten, das wäre gerade unpassend, und ich habe mich bedankt und bin rausgegangen und habe bei denen nie wieder ein Buch gekauft.

Zwischenzeitlich jobbte ich im Ökoladen, verkaufte Brötchen in einer kleinen Bäckerei und legte Fliesen, aber das waren nur Geldbeschaffungsmaßnahmen. Niemand nahm mich dabei ernst. Alle sahen mich an und dachten: Soll er doch lieber schreiben, wenn er nichts anderes kann. Also habe ich geschrieben.

Kreativität liegt dir im Blut und beim Schreiben probierst du alles aus: alle Genres, alle Zielgruppen. Hast du auch mal andere Kunstrichtungen ausprobiert? Musik, Malerei?

Musik war ein elegantes Fiasko. Ich hatte eine grandiose Band, die fünfzig Songs aufgenommen hat, von denen fast jeder eine Legende in sich ist. Wir nannten uns Fjord Zarminski und litten an der Tatsache, dass die Gitarre in meinen Händen machte, was sie wollte. Und singen konnte ich auch nicht. Also murmelte ich nur ins Mikro und wiederholte die paar Akkorde, die ich mir merken konnte. Es gelang mir einfach nicht, eine Melodie zu halten. Die Texte zu schreiben, fiel mir schon leichter. Mein guter Kumpel Micha dagegen konnte singen und Gitarre spielen, aber irgendwie fehlte ihm der Mut, dieser letzte Schritt, der uns an den Abgrund trägt, wo wir dann die Flügel ausbreiten und fliegen. Die Band ist jetzt Vergangenheit, die Freundschaft zu ihm auch, aber die Musik ist geblieben, und ich grinse immer wieder, weil er so gut war und ich so unfassbar unmusikalisch daherkam, dass es schon ein heroischer Akt war, eine Band mit mir zu gründen. Malen und Zeichnen nahm mich schon seit meiner Teenagerzeit ein und irgendwann wurde es dann ernst. 1988 tat ich mich mit meinem guten Kumpel Wolfram zusammen und wir waren Dynamit. Zu der Zeit hatte ich meine erste Wohnung, und in einem der Durchgangszimmer stand ein Tisch, und auf dem Tisch malten Wolfram und ich. Einer fing an, breitete seine Pappe aus, zeichnete, kritzelte, malte, während der andere sich um den Tee kümmerte, Musik auflegte oder höllisch scharfes Chili con Carne kochte. Sobald das Bild fertig war, kam es runter vom Tisch und an die Wand, und die Plätze wurden getauscht. Wir waren im Rausch, wir waren so produktiv, dass Picassos Geist anfing, uns Drohbriefe zu schicken. Dann kam mir das Schreiben in den Weg. Ich kritzelte nebenbei immer wieder Gedichte, haute kleine Geschichten raus, aber ich begriff, dass beides nicht ging. Schrieb ich, verschwand ich im Schreiben; malte ich, ging nichts anderes mehr. Nach eineinhalb Jahren fehlte mir das Schreiben so sehr, dass ich eine Entscheidung traf. Picassos Geist hat erleichtert ausgeatmet, Wolfram hat sich einen anderen Freund gesucht, die Bilder sind geblieben.



Hast du mit deinen Büchern gleich Erfolg gehabt? Und wie wichtig ist dir der Erfolg?

1989 ging in meinen Augen das richtige Schreiben los und 1998 erschien mein erstes Buch. Dazwischen versuchte ich, meine Romane einzuschicken. Viermal. Aber die vorgefertigten Antworten der Verlage machten mich bald müde. Dabei war das Einschicken nicht das Problem, das Problem war, dem Verlag in einem Brief zu erklären, warum ich schreibe und was ich schreibe. Vorgefertigte Antworten als Echo darauf können den Enthusiasmus sehr dämpfen. Damals begriff ich, dass Schreiben nicht für andere ist. Schreiben ist in erster Linie für den Autor, weil er von sich selbst was will - Ehrlichkeit und Antworten auf die Fragen, die ihn beschäftigen. Da ist ein Drang, da ist eine treibende Kraft. Wenn ich das alles tun würde, nur um veröffentlicht zu werden und mein Konto aufzubessern, könnte ich gleich Kuchen backen oder Schuhe reparieren oder dem uralten Wunsch meiner Eltern folgen und eine Banklehre machen.

Ich bin froh, dass ich mir knappe zehn Jahre die Seele aus dem Leib schreiben durfte. Ich konnte an mir selbst feilen, mir Zeit lassen und mich in die falsche Richtung verrennen und flennend wieder zurückkommen. Die Stipendien haben da natürlich einen großen Anteil, sie pusteten alle Zweifel beiseite, sie sagten: He, Zoran, du bist auf dem richtigen Kurs, mach weiter. Wer auch immer da seine Finger im Spiel hatte und in den Kommissionen saß und fand, ich würde eine Chance verdienen, ich schick euch einen Kniefall und ein großes Dankeschön hinterher.

Erfolg ist eine schöne Sache, denn es ist eine Bestätigung für das, was man eigentlich die ganze Zeit wusste, und jetzt wissen es auch die anderen. Es ist aber keine Fahne, mit der man den lieben langen Tag rumwedeln kann, denn sehr schnell ist das langweilig und auch ermüdend - Fahnen brauchen Wind und manchmal ist es windstill. Erfolg hat eine miese Halbwertzeit. Besonders, wenn man am nächsten Buch sitzt. Für einen Schriftsteller sollte es immer vorwärts gehen. Sagt Zoran. Ich möchte mit jedem neuen Buch vorwärts gehen, Neues entdecken und mit dem Alten verbinden, einfach besser und reifer werden. Darüber lacht der Erfolg natürlich, denn er hängt noch beim vorherigen Buch und zeigt mir die kalte Schulter, weil seine Halbwertzeit eben nur eine miese Halbwertzeit ist. Deswegen grinse ich den Erfolg an, lasse ihn durch eine Tür rein und durch eines der Fenster raus. Soll er mal andere Schriftsteller ärgern, ich komme ohne ihn klar, weil auch er ohne mich klar kommt. Er geht fremd, sucht sich besser aussehende Schriftsteller, schreibt keine Postkarten, zieht nie seine Schuhe aus und will, dass ich der Allgemeinheit gefalle. Hin und wieder ist er vollkommen verlogen, achtet nur auf die Verkaufszahlen und lacht die Qualität dafär aus, dass sie einen Anspruch hat. Der Erfolg ist nicht mein bester Kumpel, aber hin und wieder ziehen wir um die Häuser.

Du bist in der Großstadt aufgewachsen und warst in deinem Schreiben immer sehr davon inspiriert. In deinem persönlichen Leben scheinst du in der letzten Zeit eher die Einsamkeit zu suchen. Du hast gerade eine Zeit in Irland verbracht, lebst in Deutschland auf dem Land in einer einsam gelegenen ehemaligen Kornmühle ... Was ist da passiert? Hast du genug Menschen um dich gehabt?

Ich habe einen Kreis von Freunden, der wirklich klein ist. Mehr will ich nicht. Es ist schwer, sich um jeden Menschen zu kümmern, für alle da zu sein, offen und herzlich, interessiert und mit einer Meinung.

Mein Einsamkeitsvirus brach aus, als ich für drei Jahre in Holland lebte. Eigentlich war es ein Akt der Verzweiflung - die Mauer war gefallen und ich wollte weg, denn mein eingeschlossenes West-Berlin wurde plötzlich von allen Seiten überrannt und die Idylle verschwand einfach so und ließ mich alleine zurück. Ich floh in den Süden. Nach einem Jahr auf dem bayrischen Lande wusste ich, das ist auch nicht das Wahre für mich, und dann wollte meine damalige Freundin nach Holland, um auf die internationale Schauspielschule zu gehen. Und ich zockelte blind hinterher. Nach einem Jahr waren wir nicht mehr zusammen und ich saß mitten in der holländischen Pampa in einem heruntergekommenen Caravan und hatte kein Klo und kein Telefon, nicht einmal Luft war in den Reifen des Caravans. Dafür hatte ich vierzehn mal vier Meter Platz, Aussicht auf eine Horde Kühe und einen Bauern, der mir ab und zu winkte, bevor er im Stall verschwand. Paradies. Ich hatte die Einsamkeit entdeckt. Ich lebte in einem Land, in dem ich kaum ein Wort verstand, an einem Ort, an dem mich niemand erreichen konnte und an dem mich die Isolation jeden Morgen mit einem Kuss weckte. Nach drei Jahren war ich infiziert. Jim Harrison hat das sehr schön in seinem Roman Dalva formuliert. Er schrieb: »Jeder von uns muss unentrinnbar mit der ganzen, ihm zugedachten Einsamkeit leben, und wir dürfen uns nicht selbst zerstören, indem wir wie von Sinnen versuchen, dieser Einsamkeit zu entkommen.« Der Roman hätte auch Schriftsteller im Caravan ohne Klo heißen können. Ich liebe mein Berlin, aber nur als Besucher. Ich kenne die Stadt und weiß, wie sie atmet, lacht, rülpst, ich kenne ihre Schönheit im Sommer und ihre finstere Seite im Winter. Nach drei Tagen habe ich aber immer genug von ihr, mache mich höflich vom Acker und freu mich auf den nächsten Besuch. Das Landleben dagegen hat seinen ganz besonderen Rhythmus. Die Zeit läst sich auf, alles wird zum Hier und Jetzt und das gefällt mir. Eine Woche kann wie ein Tag vergehen, und dann gibt es Tage, die schleifen die Füße, schwenken die Hüften und klimpern auf der Gitarre, dass die Luft anfängt, nach Herbst zu riechen. So ein Tag fühlt sich dann an wie ein ganzer Monat. Wer will so was schon missen?


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Werkstattbericht Der letzte Engel
Vom Schreiben allgemein

Wie kommst du an deine Ideen? Wie entsteht bei dir ein neues Projekt?

Es gibt leider keine Formel. Jedes neue Buch ist eine Entdeckungsreise und ich habe oft keinen blassen Schimmer, wohin es gehen soll. Ein wenig entdecke ich das Buch mit jeder Seite und schaue, was es mir zu sagen hat. Die Ideen sind oft kleine Szenen mit einer Länge von zehn Seiten. Ein eingefangener Moment, der dann das Buch lostritt. Ich habe eine ganze Sammlung solcher Szenen, die in meinem Computer ruhen und warten, geweckt zu werden. Die Themen variieren dabei. Es gibt keine Vorliebe, es gibt keinen Plan. Es ist ein Leben im geordneten Chaos und ich stehe mittendrin und versuche zu dirigieren. Es wäre schön, wenn es von diesem Chaos in meinem Kopf Fotos geben würde, die würde ich mir rahmen lassen, aber wahrscheinlich dürfte ich dann die Zwangsjacke nie wieder ausziehen.



Und wie geht es danach weiter? Wie entwickelst du deine Handlung? Entwickelt sie sich beim Schreiben immer linear? Und wann weißt du, wie deine Geschichte ausgehen wird?

Eine Weile folge ich einem Erzählstrang, bis er in eine Sackgasse gerät, dann wechsele ich die Spur und nähere mich der Geschichte aus einer anderen Richtung. Es baut sich wie ein Mosaik zusammen. Teilchen um Teilchen, die alleine keine richtige Existenz haben, aber anfangen, Lärm zu machen und sich zu einer Geschichte zusammenzuraufen. Natürlich plane ich auch, doch vieles ist dem Instinkt überlassen, der Hoffnung, den richtigen Weg zu gehen und nicht gegen eine Wand zu laufen. Manchmal steht das Ende in meinem Kopf. Manchmal weiß ich den letzten Satz. Das ist immer sehr gut, wie eine Zielgerade, die nach einem ruft. Aber größtenteils taste ich mich voran, habe kleine Stationen und schreibe und schreibe und merke irgendwann in all der Aufregung, dass ich kurz vor dem Ende stehe. Dann wird das Tempo gedrosselt, dann wächst die Nervosität und ich bete, dass ich den Moment nicht verpasse, wo Schluss sein muss.

Wenn man von dir behauptet, du schreibst Bücher »für« Kinder, Jugendliche und Erwachsene, korrigierst du gerne und sagst, du schreibst »über« Kinder, Jugendliche und Erwachsene. Warum machst du diese Unterscheidung?

Weil es ein sehr großer Unterschied ist. Für jemanden zu schreiben, ist ein Job, den ich für jemanden mache. Und das klingt dann so: He, liebe Kinder, ich mag euch ja so sehr, deswegen schreibe ich jetzt ein Buch für euch und bekomme ganz viel Geld, weil ich genau weiß, was ihr hören wollt. Juchu. Ich habe die vierzig Überschritten und dachte dasselbe, als ich die dreißig Überschritten hatte: Ich kann nicht so tun, als wäre ich sieben Jahre alt. Ich will mein Ohr nicht an den Puls der Zeit legen und Jugendliche belauschen und ihre Probleme assimilieren und mich für Skateboards, Handys oder Magersucht interessieren. Ich kann mich auf meine Generation einlassen, das ist das einfachste, aber auch das hat Grenzen, denn so interessant ist meine Generation nun auch nicht.

Ich lasse mich voll und ganz auf meine Charaktere ein und da ist es egal, wie alt sie sind, denn sie sind ein Teil von mir und haben Stimmen und haben Ideen und ihren kleinen und großen Wahnsinn, den Frust des Alltags und die Lust aufs Leben. Dafür muss ich keine Interviews mit Jugendlichen führen, dafür muss ich keine Kinder haben, die dem Papa dreimal an der Nase ziehen und dann schreibt er ein Buch darüber, dafür muss ich auch nicht tun, als wäre ich 86 Jahre alt und würde über das Leben sinnieren, wenn ich gerade mal 44 bin und das Leben lebe. Aber ich kann den Siebenjährigen in meinem Kopf begleiten und ich kann einem Jugendlichen im Nacken sitzen und mich mit ihm verlieben, genauso wie ich die Blähungen eines 86-Jährigen nachvollziehen und bemeckern kann, weil ich in dem Moment im Charakter bin.

Es ist vollkommen in Ordnung, für jemanden zu schreiben. Ich mache es lieber für meine Charaktere, denn sie sind die, die die Geschichte erleben, die ich erzählen darf. Sie geben mir im Austausch dafür Mut und Kraft, indem sie mir ihre Seite vom Leben zeigen. Sie reißen Witze, verarschen mich nach Strich und Faden, sind grausam und brutal und können nie ihre Klappen halten, und wenn sie mal ernsthaft verstummen sollten, dann habe ich ja noch das Malen.

Du schreibst also nicht in erster Linie »für« andere Menschen. Wie ist es aber für dich, dass die anderen von deinen Büchern so berührt sind? Was bedeutet dir der Kontakt zu deinen Lesern?

Da muss ich wirklich alle Credits meinen Charakteren geben. Sie haben ihre Freiheit, sie sind unberechenbar, und ich denke, das merkt der Leser. Da baut sich eine Nähe und Wärme auf, die ich auch nicht ganz durchschaue. Wahrscheinlich ist es wirklich einfach nur Liebe zu meinen Charakteren. Punkt.

Mein Kontakt zum Leser ist relativ klein. Auf Lesungen begegnen wir uns natürlich. Und hin und wieder trudeln Mails und Briefe ein und ich werde dann sentimental wie der 86-Jährige und sitze da und grinse und hab hin und wieder eine Träne im Auge und denke: Ach ja, es funktioniert, und du Blödmann hast keinen blassen Schimmer, warum es funktioniert. Die Meinungen der Leser sagen mir, dass ich auf dem richtigen Weg bin, dass ich etwas in Gang setze und sie damit berühre. Mehr kann ich wirklich nicht verlangen.

Wahrhaftigkeit ist eine der Grundqualitäten deiner Arbeit: Dir geht es um wahre Figuren, Gefühle, Situationen. du machst es dir als Autor nie leicht, plauderst nicht einfach mal so los. Deine Sprache scheint so lange »kristallisiert« zu werden, bis alles 100% authentisch und ehrlich ist. »Feilst« du viel daran?

Eines Tages werde ich mich todfeilen, dann packen sie mich ins Grab und von da unten werde ich noch murmeln: Lasst es mich noch einmal lesen. Meine Lektoren können davon ein Klagelied singen. Dabei geht es nicht um Unsicherheit. Es geht um das Feilen, um den kristallklaren Moment, in dem ein Satz plötzlich aufrecht dasteht und stolz seine Brust rausstreckt.

Ich bin kein leuchtender Kopf, dem die Sätze einfach so rausflutschen und der mit einem Schnipsen den Überblick hat. Ich leuchte auf eine andere Art und Weise, indem ich auf alles gleichzeitig achte - Rhythmus, Ton, Dialoge, Tempo und Erzählweise. Immer wieder schaue ich, ob ich lieber in der 1., 2. oder in der 3. Person schreibe. Ganze Passagen werden dafür umgeändert, weil ich sehen will, wie Nähe und Distanz die Geschichte verändern. Der Rhythmus muss immer zu spüren sein, ein ganz feiner Beat, der sich je nach Charakter ändert. Dann ist da der Ton, du willst ja nicht, dass jeder Charakter austauschbar ist, du willst, dass er sich in der Sprache öffnet.

Ein großer Spaß sind immer die Dialoge. Da geht bei mir das Feuerwerk hoch, wenn ein Satz dem anderen die Hand gibt. Und das Tempo ist mit der Atmosphäre die Klammer des Ganzen. Wo bremst man ab, wo gibt man Gas und wo hört man einfach auf? Wann kommt der Wechsel zum nächsten Charakter und wann soll ich zum vorherigen zurückkehren? Ich folge da sehr meinem Schreibinstinkt, folge den Erfahrungen von Schriftstellern, die es vor mir getan haben und durch deren Bücher ich zu schreiben gelernt habe.



Ehrlich zu sich selbst und zu seinen Figuren zu sein, kann aber auch weh tun. Bei welcher deiner Figuren hat es besonders weh getan, sich ihr zu stellen?

Der schlimmste Schmerz waren die zwei Jungen in Sorry. Als sie nach ungefähr 100 Seiten in der Geschichte auftauchten, habe ich Angst vor meinem Schreiben bekommen. Das unvermeidliche Schicksal dieser Jungen sammelte sich wie eine finstere Wolkenbank über meinem Kopf. Ich ahnte, was kommen würde, ich war aber nicht bereit dafür. Also legte ich eine Pause von eineinhalb Jahren ein. In dieser Zeit schrieb ich drei Kinderbücher und kehrte zum Roman zurück. Ich dachte, ich wäre gewappnet. Ich war es nicht wirklich. Sechs dunkle Monate folgten. Ich hoffe sehr, die Jungs verzeihen es mir. Denn das ist immer das Schwierigste am Schreiben. Deine Charaktere gehen zu lassen, sie in das Unvermeidliche laufen zu sehen, ohne es ungeschehen zu machen, denn natürlich kannst du es umschreiben, natürlich kannst du sagen: Nee, da kam kein Bus, der ihn umgefahren hat, haha, er hat alles überlebt. Aber leider spürst du, dass genau das passieren muss, dass es keine andere Lösung für die Geschichte gibt und der Lauf der Dinge eben der Lauf der Dinge ist. Denn auch das ist Schreiben: ehrlich sein. Nicht Effekte, nicht Knöpfe, die gedrückt werden müssen, weil das und das passieren muss, weil es dir im Workshop für angehende Bestsellerautoren beigebracht wurde, sondern ein Plot, der atmet, der seinen Weg geht und sich auch verlaufen und verlieren darf, aber im Endeffekt sollte er ehrlich sein.

Hast du bei deinen eigenen Büchern ein Lieblingsbuch / eine Lieblingsfigur?

Ich bin ein Fan von all meinen Geschichten, deswegen ist es schwer, ein besonderes Buch herauszupicken. Die Liebe ist auf alle verteilt. Mein Herz hängt immer voll und ganz an dem neuesten Buch, an dem ich gerade arbeite. Die Babys brauchen ja alle Aufmerksamkeit. Drumherum schwirren meine Lieblingsfiguren - immer wieder erklingt das Meckern vom einzigen Vogel, der einfach nicht glauben kann, dass es Frühling wird, immer wieder sucht Rudolpho mit seinem romantischen Blick das Land ab und kann es nicht fassen, dass es so viele schöne Mädchen auf der Welt gibt. Und wann immer ich in Berlin bin, sehe ich meine Charaktere in den Cafés sitzen, sehe meine Kumpels, wie sie an der Ecke Fußball spielen, und begegne einer Gruppe von recht durchgeknallten Mädchen, die sich die süßen Schlampen nennen und mir den Finger zeigen.



Manchmal sind deine Bücher so intensiv und schonungslos, dass man es als Leser kaum aushalten kann. Und dann wird es plötzlich wieder unglaublich witzig - manchmal wechselt das in einem Buch oder sogar in einer Szene. Was bedeutet dir der Humor beim Schreiben?

Ohne Humor würde nichts funktionieren. Sicher ist es ein Spaß, die Spannung anzuziehen, du darfst aber nie vergessen, dass die Seele zwar gerne schwitzt und mit den Füßen trampelt, dass sie aber auch immer nach einem Lichtschimmer sucht. Humor ist Licht, Humor ist das Entspannen der Muskeln nach einem harten Kampf. Dabei sitze ich nie da und kichere vor mich hin. Witzige Situationen passieren und ich bin immer wieder überrascht, dass sie witzig sind. Das ist mir ganz besonders bei Die Nacht, in der meine Schwester den Weihnachtsmann entführte aufgefallen. Zwischen Winterkühle und Familienchaos kam ein Humor durch, den ich als Kind nicht gespürt habe. Es ist immer leichter, von draußen draufzuschauen, und es ist angenehm, im Nachhinein darüber grinsen zu können.

Bilder sind sehr wichtig in deinen Texten. Bilder, die den Leser total überraschen, weil er selbst nicht darauf gekommen wäre und weil sie dennoch verblüffend wahr sind und plötzlich neue Ebenen der Wahrnehmung aufziehen. Bilder wie: »Der Nachthimmel erinnert an das Innere einer zerkratzten Bratpfanne, die bald im Müll landen wird« (Die tollkühne Rückkehr von JanBenMax). Oder »Angst ist manchmal ein T-Shirt, das nicht passt« (Die Kurzhosengang & das Totem von Okkerville). Oder »Ich sah, wie die Schatten über sein Gesicht wanderten, als wäre es eine Landschaft, über der die Sonne unterging« (Der letzte Engel). Wie kommst du auf diese Bilder? Spontan? Oder ist das eine intellektuelle Arbeit, denkst du lange über das richtige nach?

Es ist spontan, es ist der Moment, es ist einfach. Die Bilder ploppen hoch, weil ich mich in der Geschichte befinde. Manchmal muss ich sie zurücknehmen, damit es nicht zu viele werden, feilen muss ich nicht an ihnen - wenn sie nicht klicken, fliegen sie raus. Und manchmal tauchen auch Bilder auf, die ich selbst nicht verstehe, und Aussagen, die so skurril sind, dass ich mich frage, was ich damit ausdrücken wollte. In Die Kurzhosengang & das Totem von Okkerville sagt PauliDrei über PauliZwei: »Dumm wie Gras, trocken wie Stroh.« Ich habe keine Ahnung, was das bedeutet, aber es gehört zu PauliDrei, also bleibt es drin.



Bei so vielen Bildern: Denkst du filmisch beim Schreiben deiner Geschichten? Siehst du sie wie Kinofilme vor dir? Hoffst du auf Verfilmungen?

Filme sind für mich eines der drei wichtigen Elemente beim Schreiben. Mit Literatur und Musik bilden sie ein Ganzes. Ohne ginge nichts. Von der Musik lerne ich den Rhythmus, die Stille zwischen den Tünen, wie sich ein Raum verändert, weil plötzlich ein verrauschtes Klavierspiel erklingt. Ein Roman ohne Soundtrack ist ein Strand ohne Meer.

Die Literatur ist die Sprache, da fügt sich alles zusammen, was ich gelesen habe. Jeder gute Autor hat etwas zu bieten. Etwas Neues, etwas Eigenes. Ich lerne davon, ich sehe, wie er es gemacht hat, warum er es gemacht hat, und ich nehme es auf, verarbeite es und versuche, etwas Neues daraus zu machen. Und natürlich will man besser werden, man will wachsen und zeigen, was man dazugelernt hat. Deswegen ist Schreiben an sich eine Hommage an alle Autoren. Schaut her, ruft der Zoran, schaut, was ich mit eurer Hilfe gemacht habe.

Und da kommen die Filme ins Spiel.

Dieses komprimierte Zusammenspiel, das in eineinhalb Stunden funktionieren muss, ist schon ein kleiner Wahnsinn. Was aber nichts über die Qualität sagt. Von zehn Filmen landen bei mir neun in der Tonne. Und dann gibt es natürlich seit einem knappen Jahrzehnt das Königreich der Fernsehserien auf DVD. Da werde ich blass, was da an Brillanz innerhalb von Minuten verpulvert wird, und denke mir: Wie ist ihnen das gelungen? Nie schaffe ich das. Nie werde ich das so schaffen. Und das ist letztendlich Ansporn pur. Von den Filmen lerne ich den Schnitt, das Verschieben von Sequenzen, den Trick des Unsichtbaren im Sichtbaren - sprich: Was kann ich schreiben und es funktioniert nur auf dem Papier, was kann ich filmen und es funktioniert nur auf der Leinwand.

Ich graue mich vor Verfilmungen. Es sind so viele Faktoren, die schief gehen können. Außerdem gibt es ja die nackte Wahrheit und die lautet: Wenn ein Film gemacht wird, macht ihn ein Regisseur und im Normalfall nicht der Autor. Das Baby gehört von dem Moment an nicht mehr mir. Der Film wird ja nicht gemacht, weil meine Perspektive gefragt ist, denn dann würde ich ihn drehen. Jemand will die Geschichte umsetzen, die Vision des Regisseurs ist interessant. Das heißt, das Baby muss weitergereicht werden. Am Drehbuch will ich schon arbeiten, auch wenn es eine glorreiche Qual ist. Sich erneut an den Stoff machen und herausfinden, was auf der Leinwand alles nicht geht, und ganz schlimm - neue Ideen haben und nicht mehr in das Buch einbauen können, weil das Buch längst veröffentlicht ist.

Du spielst mit allen literarischen Formen (Romane, Gedichte, Bilderbücher, Theaterstücke, Kurzgeschichten) und auch mit allen Genres. Hast du gerade besondere Wünsche für die Zukunft? Gibt es Themen / Genres, die dich im Moment besonders interessieren?

Mein einziger Wunsch ist meine Freiheit und einen klaren Blick zu behalten. Ich will keine Gurke werden, die auf einem toten Pferd durch die Stadt reitet und laut verkündet, dass das Pferd doch früher mal am Leben war, und schaut doch, ich reite es noch immer. Was auch immer ich damit sagen will, eigentlich will ich nur sagen, dass ich mir die Freiheit bewahren will, zu machen, was mich interessiert. Keine vorgegebenen Themen, keine Versuche, auf eine fröhliche Welle aufzuspringen. Und ich hoffe, dass der klare Blick nicht nachlässt, aber dafür habe ich meine Muse und meine Freunde, die treten mich in den Hintern, wenn ich Mist baue.



Manche deiner Geschichten scheinen nach der Fertigstellung gar nicht »fertig« zu sein, denn die Kurzhosengang ist ja zum Beispiel gerade wieder zu dir und zu den Lesern zurückgekommen und zieht in ein neues Abenteuer. Ist das typisch für dich? Hängst du deinen Geschichten und Figuren auch nach dem Schreiben nach?

Ich hänge nicht den Geschichten nach, mehr den Orten und den Figuren. Für mich sind sie mit dem Buch abgeschlossen, aber ich habe mit der Zeit entdeckt, was für eine Freude es ist und wie einfach es mir fällt, zu diesen Figuren zurückzukehren. Ein alter Charakter, der dich mit neuen Geschichten empfängt, ist ein guter Freund. Oft leben Nebencharaktere bei mir in anderen Büchern weiter, zeigen eine andere Seite ihres Wesens. Neil zum Beispiel kam bei Du vor, entstand aber zehn Jahre vorher in touch the flame. Und bei Die tollkühne Rückkehr von JanBenMax erwecke ich den einzigen Vogel, der die Kälte nicht fürchtet, wieder und es ist so, als wäre es gestern gewesen, dass ich über ihn geschrieben habe. Die Geschichten sind für sich einzeln und fließen dennoch ineinander, es entsteht ein eigener Kosmos und in dem lebe ich sehr gerne.


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Werkstattbericht Der letzte Engel
Vom letzten Engel

2002 erschien dein letztes Jugendbuch »Sag mir, was du siehst«. In der Zwischenzeit hast du viele Bücher veröffentlicht, Bilderbücher, Kinderbücher und sehr erfolgreich Belletristik für Erwachsene - aber eben seit 10 Jahren kein Jugendbuch mehr. Hast du es vermisst, über Jugendliche zu schreiben?

Mir liegen jüngere Charaktere mehr. Ich glaube, ein verrückter Teil meiner Seele ist der ewige Teenager, ein anderer Teil ist das ewige Kind und den Hauptteil nimmt natürlich mein erwachsenes Ich ein, aber in dem lebe ich, über den muss ich nicht andauernd schreiben. Außerdem haben Jugendliche und Kinder mehr zu bieten. Da ist noch alles möglich, da kochen die Hormone, da kann in einer Stunde die Welt untergehen und in der nächsten scheint wieder die Sonne. Ich traue ihnen mehr zu, weil sie noch so viel vor sich haben. Die Angst ist größer, die Verzweiflung ansteckender, der Humor kann ein Messer sein, die Panik ungeahnte Kräfte freisetzen.

Meine Geschichten drehen sich viel um Freundschaft und Zusammenhalt, dafür sind junge Charaktere der beste Nährboden. Bei ihnen ist alles möglich, auch das absolute Versagen, und wen das nicht reizt, der soll eben was anderes schreiben. In Du bin ich schon ein wenig zu den jungen Charakteren zurückgekommen und jetzt folgt ein neuer Angriff. Im Hauptpersonal von Der letzte Engel sind alle Altersstufen vertreten. Vom knallharten alten Knacker, der mit der ewigen Rache in der Brust durch die Gegend läuft, über den verlorenen Teenager, der eigentlich nur Teenager sein will und sich selbst eines Morgens nicht mehr wiedererkennt, bis zur Zehnjährigen, die voller Trauer ist und sich das Schicksal der Welt auf die Schultern geladen hat.

Das Schwierige sind die Themen. über Schule schreibe ich nicht mehr und über die typischen Probleme von Jugendlichen dürfen sich pädagogische Autoren auslassen. Es ist mir wichtig, Jugendliche als normale Menschen zu sehen, die so sind wie du und ich, das ist mein Job. Ich bin kein Ratgeber, ich gebe ihnen Geschichten, die sie wegpusten sollen. Das ist doch ein netter Beruf. Ich bin Geschichtengeber und Wegpuster. Prima.

In deinem neuen Jugendroman geht es um das Thema Engel. Wieso Engel? Wie kamst du auf die Idee zu diesem Buch?

Die Idee war die Szene mit Motte, der eine Mail bekommt, in der ihm gesagt wird, dass er in der Nacht sterben wird. Der erste Schritt war getan. Ich hatte eine interessante Szene, ich hatte einen Jungen, den ich vom ersten Satz an mochte, und ich hatte ein dummes Erwachen für ihn - nicht nur war er wirklich tot, er hatte auch ein paar Flügel auf seinem Rücken. Daraus kann man natürlich eine Menge witzigen Klamauk machen: Motte in der Schule, Motte auf dem Fahrrad, Motte auf dem Flug zum Supermarkt und wie alle Mädchen auf seine Flügel stehen und er am Abend eine Packung Trill mampft. Aber ich habe mich mal wieder für die dunkle Seite entschieden. Ich kann es einfach nicht lassen.

Engel an sich interessieren mich wenig, Schutzengel schon mehr. Mein liebster Schutzengel ist Lothar, der leichtfüßig an der Seite von Zement durch die Geschichten der Kurzhosengang wandert. Er ist sehr lakonisch, er jammert gerne, weil ihm alle Spezialitäten entgehen, und er kann mit einem Blinzeln auf die Bahamas verschwinden, wenn ihm danach ist.

Viele meiner Ideen sind Schläfer, die irgendwann niedergeschrieben wurden und seitdem gemütlich die Beine baumeln lassen. So auch die Szene mit Motte. Sie lag gute sechs Jahre in der Schublade und wartete, erweckt zu werden. Als es dann so weit war, als ich so richtig mitten in Der letzte Engel steckte, erfuhr ich vom Verlag, dass eine Engelsflut den Buchmarkt überrollte. Na und, habe ich mir gesagt und weitergeschrieben.

Engel ohne Religion ist fast unmöglich und deswegen eine Herausforderung, die mir gefallen hat. Das wurde mein Motto. Ich schreibe nie über Religion, ich denke nicht einmal über sie nach - da kam also was auf mich zu. Engel über Engel stolperten durchs Bild und keine Kirche war in Sicht.



Motte bekommt per Mail mitgeteilt, dass er der letzte Engel auf Erden sei. Warum ist das so gefährlich?

Jetzt kommen wir zu diesem unfassbar verstrickten Plot, der vielleicht ein wenig nach Dan Brown klingen mag - aber es ist nur der Klang, die Melodie ist eine ganz andere. Tatsache ist, manchmal weiß ich wirklich nicht, was mich jagt. Wo sind die simplen Geschichten? Warum schreibe ich sie nicht? Nein, ich verrenne mich in Intrigen, die sich über Kontinente spannen, reise vor und zurück in der Zeit, erzähle von der Bruderschaft, die anhand eines Manuskriptes die Zukunft sieht und deswegen Jagd auf die Familie macht. Erzähle von der Familie, die es seit knapp 200 Jahren gibt und die aus Forschern, Ärzten und Wissenschaftlern besteht, die mit Leib und Seele daran arbeiten, die Engel in unsere Zeit zurückzubringen. Motte ist nicht der Einzige, der verfolgt wird. Mona ist zehn und hat eine Begabung, wegen der viele Menschen sterben. Esko sieht aus wie zwanzig, aber er ist so alt, dass ihn keine Kamera festhalten kann. Und dann haben wir noch den armen Lars, der einfach in alles reinrattert und eigentlich nur ein guter Kumpel sein will. Die Dunkelheit heißt Dimitri Lazar.

Was bedeuten die Engel in deiner Geschichte? Wofür stehen sie?

Trotz all der Fakten, trotz all der Grausamkeit sehe ich irgendwie eine Hoffnung für die Menschheit und frage mich manchmal, ob uns nicht einfach ein Puzzleteil fehlt. Ob wir nicht verloren sind, weil uns etwas genommen wurde, und wir suchen und suchen und finden es nicht. Von so einer Suche handelt meine Geschichte.

In deinem Roman geht es um die Gegenwart, aber die wäre nicht denkbar ohne die Vergangenheit, in der sie wurzelt. Wie weit zurück reichen die Wurzeln deiner Geschichte?

Es ist wie der Besuch in einem Hotel, das von Stephen King erbaut wurde, nachdem er mit Dean Koontz und Richard Laymon die Nacht durchgemacht hat. Hinter jeder Tür lauerte eine überraschung und manchmal ist sie harmlos, manchmal grausam und manchmal macht sie überhaupt keinen Sinn, sodass man sich denkt: So schlimm war das nun auch wieder nicht, bis man sich umdreht und entdeckt, dass die Tür verschwunden ist und man in dem Zimmer festsitzt. Meine überraschungen bei Der letzte Engel kommen aus der Vergangenheit. Ich liebe historische Verknüpfungen, und ich liebe es noch mehr, der Realität treu zu bleiben, Recherchen zu machen und dann die ganze Historie ein klein wenig zu drehen und zu wenden und dabei so zu verändern, dass der Leser nicht mehr weiß: Ist das passiert oder ist das nicht passiert? Ich schreibe sehr gerne die Geschichte der Welt um.

Viele kennen dich als realistischen, modernen Gegenwartsautor. Dass dein neuer Roman so viele Ebenen mit einbezieht - auch fantastische und historische Zeitebenen - scheint eine neue Tendenz in deinem Schreiben zu sein. Schon in deinem gerade erschienenen Kinderbuch »Die Kurzhosengang und das Totem von Okkerville« hast du kanadische Mythen mit eingewoben und Abstecher in die Vergangenheit gemacht. In »Der letzte Engel« tut sich nun ein noch viel weiterer und tieferer Kosmos auf. Probierst du hier etwas Neues aus?

Ich habe einfach zu viel gelesen, zu viel gesehen und zu viel gehört. Jedes gute Buch öffnet ein Fenster in den Kosmos des Schreibens. Besonders die Romane, die sich um Naturgesetze und Realitäten nicht kümmern und Grenzen überschreiten, sind regelrechte Panoramafenster. Und ich sauge das auf. Dann sind da die Filme. Wer zum Beispiel Mr Nobody oder The Fall gesehen hat, der kann danach nicht mehr normal über Filme nachdenken. Da entdeckt man, dass es Möglichkeiten außerhalb der Möglichkeiten gibt. Filme dieser Art verändern Perspektiven und machen einen Schritt nach vorne in etwas Unbekanntes. Und ich sauge das auf. Schließlich ist da die Musik, sie ist die einzige Konstante und darüber bin ich froh. Ich erwarte da keine Grenzüberschreitungen, ich genieße das Zuhausesein in den Melodien, die Ruhe einer Gitarre, eines Klaviers, einer Stimme und die Sicherheit, dass wir die Stille füllen können, ohne sie zu zerstören. Auch das sauge ich auf. Und am Ende stehe ich da und probiere mit all diesen Einflüssen etwas Neues aus, weil das Leben keinen Sinn machen würde, wenn wir nicht unentwegt versuchen würden, Türen einzutreten, Fenster aufzureißen und neue Wege zu gehen. Dabei ist es unvermeidlich, Traditionen und Konventionen über Bord zu werfen. Tradition ist eine elegante Ausrede für die, die keine neuen Ideen haben. Und Konventionen sollte man in eine Tüte stecken, mit einem Stein beschweren und dann ab in den Mariannengraben damit. Und so komme ich unelegant auf die Frage zurück: Früher hätte ich nicht so weit gehen können im Schreiben. Übung und eine bestimmte Bandbreite in meinem Kopf fehlten. Ich hatte schon immer Lust, herausfordernde Themen zu verbinden und dabei kein Genre zu bedienen, indem ich alle Genres einsetze und somit zu einem großen Ganzen mache. Der letzte Engel ist so ein großes Ganzes.

Recherchierst du viel für den letzten Engel?

Nicht im Voraus, sondern meistens direkt bei der Arbeit. Eine Szene folgt auf die nächste und zwischendurch kommt eine Idee und tritt alles los. Das Internet wird durchforstet, ich verliere den Grundgedanken und lande ganz woanders, entdecke und entdecke, und wenn ich dann wieder zur Szene zurückkomme, muss ich mich oft fragen: Was sollte das denn schon wieder? Die Recherchen sind wichtig und immens, auch wenn ich nur die Hälfte des angesammelten Wissens weitergebe. Zu viel Wissen kostet Zeit und zeigt dem Leser nur, dass man recherchiert hat. Und genau das sollte er nicht merken.

Liest du Fantasy? Wenn ja, welche Bücher?

Ich lese alles, was mir in die Finger kommt. Bei Fantasy tue ich mich ein wenig schwer. Du kannst mir nicht mit einem Helden daherkommen, der mit der Hand wedelt und dann kommt ein Sturm und rettet ihn. Das ist mir etwas zu lahm. Für mich muss jede Aktion einen festen Boden haben, und wenn unter dem festen Boden eine Horde von Orks wartet, dann ist das okay, aber ich muss es dem Autor abnehmen. Ich verehre die Eis & Feuer-Reihe von George R. R. Martin. Die Bücher von Peter V. Brett und Patrick Rothfuss sind weitere Favoriten. Ich habe Hans Bemmans Stein und Flöte verschlungen und Pullmans Der goldene Kompass mehrmals gelesen. Und wenn ich an durchgeknallte Fantasie mit einem Hauch Horror denke, denke ich an Brian Lumley und seine Necroscope-Reihe. Auch von dem Mann habe ich viel gelernt.

Kannst du dir vorstellen, selbst noch mehr Fantastisches zu schreiben?

Davon komme ich eh nie weg. Es fing mit Sag mir, was du siehst an und setzte sich in der Kurzhosengang fort und ist immer ein surrender Unterton in meinem Schreiben. Das Fantastische ist ein Element, das alle Grenzen überschreitet. Mir ist es wichtig, dieses Genre in einem neuen Mantel zu präsentieren, sodass der Leser sich fragt: Moment mal, das ist nicht nur Fantasy, das ist auch Thriller und Horror und witzig ist es auch noch, was zum Teufel soll das sein? Und die Antwort lautet: Der neue Drvenkar, yeah!

Was würdest du sagen: Worum geht es im innersten, emotionalen Kern deines neuen Romans?

Darüber was zu sagen, ist die Aufgabe des Lesers und nicht meine. Ich weiß nur, dass sich bei mir fast alles um dasselbe dreht - Freundschaft, Sehnsucht und das ununterdrückbare Verlangen, etwas Gutes in dieser Welt zu tun, Kreise zu schließen, Mensch zu sein. Das alles findet sich in meinen Büchern wieder. Natürlich will ich auch die Realität des Lesers ins Schwanken bringen und ihm ein paar schlaflose Nächte bereiten. Wir Schriftsteller wollen so viel.



Und worin liegt für dich beim Schreiben dieses Buches die größte Herausforderung?

Der Kosmos dieser Geschichte ist sehr groß, und für mich ist es noch immer eine Herausforderung, alles zusammenzuhalten, denn ich stecke mitten in dem Buch und muss die Drehs an den richtigen Stellen bringen, dort einen Notausgang lassen und dort die Türen zuknallen, damit mir die Geister nicht in die Realität folgen. Und natürlich sind da die Charaktere, die mir sehr nahe gehen und die ich mit jeder Seite besser zu verstehen versuche. Aber manche wollen nicht, andere wollen zu viel, und ich habe ja nur zwei Finger, die tippen. (Nicht, dass jetzt jemand denkt, die anderen Finger hätten einen Abgang gemacht. Ich tippe nur mit den Zeigefingern, das ist genau das Tempo, dass auch mein Denken hat, mehr wäre Overdrive für mein Gehirn.)

Jeder neue Roman ist ein unentdecktes Land, manchmal liegt es weit unten auf dem Meeresgrund, manchmal hat es Höhen, dagegen ist der Mount Everest ein Maulwurfshügel. Eines Tages werde ich mich in einem dieser Länder verlieren, dann schreibe ich euch eine Postkarte. Bis dahin packe ich meine Überlebensausrüstung und schärfe die Axt, sammle meine Gedanken und folge dem letzten Engel, wohin er mich auch immer führt.


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Interview zu DU

Wie erging es Dir, nachdem Sorry erschienen war – konntest Du Dich sofort mit dem nächsten Buch beschäftigen? Wie ist Du zu Anfang entstanden, hattest Du einen Masterplan für das weit verästelte Personal und wie Du es zusammenführen willst?

Jedes Mal, wenn ein Buch erscheint, habe ich mich selbst so weit von dem Buch entfernt, dass ich mich der Geschichte von Neuem nähern muss. Es gibt die Zeit, in der der Roman entsteht, danach die Phase der Überarbeitung, schließlich das Lektorat mit dem Verlag und dann lasse ich den Roman ganz aus der Hand und wünschte, ich könnte ihn noch zwei Jahre verwahren, damit er groß und erwachsen wird. Aber so funktioniert es leider nicht, das Buch will in die Welt, also lasse ich es gehen und fange währenddessen schon den nächsten Roman an, damit der Abschiedsschmerz nicht zu groß ist.
Sorry war inhaltlich ein Schwergewicht, das mir bis ins Knochenmark ging. Du ist eine vollkommen andere Kategorie. Thriller und Roadmovie gepaart mit einer Familiensaga und fünf Mädchen, die nirgends reinpassen. Die Geschichte lauerte schon seit einer Weile in meinem Hinterkopf und hat nur auf den richtigen Moment gewartet. Sie entstand wie alle meine Romane auf der Basis von Charakteren, die mir gefielen und die ihr Eigenleben entwickelt haben. Ich schreibe sehr aus dem Bauch heraus und lasse den Personen Raum und Zeit, sich zu entwickeln, was meist nach 200 Seiten dazu führt, dass ich mich bremsen und herausfinden muss, was das Ganze eigentlich soll. Da beginnt dann die Planung, da beginnt das Forschen nach dem Sinn der Geschichte und ich versuche, eine Linie in das Chaos zu bringen.
Du hat seine ganz eigene treibende Eleganz, ich wollte eine unberechenbare Geschichte, der keine Grenzen vorgegeben sind und die an Stellen Wurzeln treibt, an denen der Leser sie nicht vermutet. Als ich wusste, wohin meine Helden unterwegs sind, ging das Schreiben überraschend schnell, die Verbindung erschlossen sich mir und ich konnte den Roman nach einem halben Jahr beenden.

Die Du-Form war in Sorry exklusiv für den Killer reserviert, in Du hingegen wird sie in allen 14 Erzählperspektiven verwendet. Was ist für Dich der Reiz an der Du-Form, welche Möglichkeiten gibt sie Dir für das Erzählen?

Ich glaube, ich hege wie jeder Schriftsteller den geheimen Wunsch, dem Leser mit meinem Schreiben nahe zu kommen. Ich will ihn nicht nur berühren oder ihm schöne Bilder präsentieren, sondern ihn spüren lassen, dass er einer meiner Charaktere ist und dass er es sein könnte, der in meinen Geschichten agiert. Er soll riechen, was sie riechen, empfinden, was sie wütend macht, und auch ihre Trauer soll er verstehen.
Das letzte Jahrzehnt über habe ich viel mit den Erzählformen experimentiert. Passagen wurden von der Ich-Form in die Er-Form und dann in die Du-Form umgewandelt, nur um zu sehen, was wie funktioniert, wie anders sich die Charaktere verhalten, wie sich die Szenerie verändert und meine Einstellung zur Geschichte. Auf diese Weise habe ich ganze, abgeschlossene Romane auseinandergenommen. Yugoslavian Gigolo war anfangs in der Er-Form geschrieben und bekam durch die Veränderung in die Ich-Form eine grausame Persönlichkeit. In Sorry und Du bist zu schnell schwankte ich immer wieder. Sorry war in der ersten Fassung durchweg in der Ich-Perspektive geschrieben, was dann gar nicht funktionierte, also kehrte ich zur Er-Person als Haupterzählstrang zurück.
Der Du-Form ließ ich das erste Mal 2002 freien Lauf. Cengiz & Locke entstand und war der erste Roman in dieser Manier. Vielen geht die Du-Person zu nahe, sie wollen nicht diese hautenge Beziehung zu den Charakteren haben. Da grinst dann der Autor und sagt: Ziel erreicht! Das Du ist für mich der letzte Schritt auf den Leser zu. Näher kann ich nicht ran.

In Sorry wird ein Quartett von Leuten um die 30 in die Mordgeschichte gezogen, in Du sind es fünf Mädchen von 16 Jahren, die „süßen Schlampen“. Was gefällt Dir an diesen Heldinnen?

Als ich Cengiz & Locke schrieb, bestand das Ensemble nur aus männlichen Charakteren. Die Geschichte wollte es so. Als ich mich dann an DU rangemacht habe, waren diese fünf Mädchen an vorderster Stelle und wollten nicht weichen. Das Buch sollte erst Die süßen Schlampen heißen, aber damit kam ich beim Verlag nicht durch, aber das war nicht schlimm, letztendlich habe ich mit DU einen Titel gefunden, der die Geschichte viel mehr umfasst, und mit dem Cover sowieso. Meine Liebe zu den süßen Schlampen wurde durch die erste Passage von Stinke ausgelöst. Ich war sofort in ihrer Welt, lernte ihre Freundinnen kennen und genoss den schnoddrigen Ton. Was immer so klingt, als würde ich meinen schnoddrigen Ton genießen und loben, aber das ist nicht mein Ton, das sind die Stimmen meiner Charaktere, was immer ein wenig so wirkt, als würde ich mit Geistern kommunizieren.

Natürlich habe ich das alles geschrieben, und natürlich dirigiere ich jeden Satz, dennoch haben die Charaktere ihr Leben, ihre Seele und eigentlich halte ich nur fest, was ihnen widerfährt, wie sie sind und was sie wollen. Jeder Charakter muss seine eigene Stimme haben, und diese Mädchen hatten laute Stimmen. Sie waren witzig, sie waren verrückt und ich mochte es sehr, dass sie der Welt den Finger zeigten. Wie soll ich da als Autor Nein sagen? Es war Liebe vom ersten Wort an, und als dann wie aus dem Nichts Der Reisende und Ragnar als Charaktere auftauchten, kippte die Welt der Mädchen und meine mit dazu und ich stand vor dem Rätsel: Was wollen die denn jetzt? Das ist eben dieses ominöse aus-dem-Bauch-schreiben – die Geschichte erwischt dich unerwartet von allen Seiten und du kannst froh sein, wenn du mit einer blutigen Nase davonkommst. In Sorry hat mir meine dämliche Spontanität einen Riss in die Seele geschlagen; hier war es Herzschmerz und der bittere Nachgeschmack von Verlust.

Die Mädchen kennen sich bei einschlägigen Filmen und Serien gut aus, zitieren sie geradezu herbei. Ist es für uns alle unmöglich, eine solche Geschichte zu erleben, ohne an die entsprechenden Kinobilder zu denken?

Natürlich denkt man an gesehene Kinobilder, natürlich denkt man an gelesene Bücher, ich erfinde hier ja das Rad nicht neu, sondern bediene mich der Genres und versuche daraus etwas Neues entstehen zu lassen. Das alles ginge nicht ohne Literatur, Filme oder Musik. Ich habe von Schriftsteller gelernt und dadurch eine Stimme entwickelt. Alles Gelernte fließt in mein Schreiben, es ist eine Melange aus dem Schreiben anderer Autoren und meinem eigenen Stil.
Filme sind in ihrer Knappheit und Schnittechnik wichtig. Was man in wenigen Bildern zeigen kann, muss man in Büchern anders angehen, denn man hat ja nur Worte, wo der Film mit Schweigen auskommt. Und dann die Musik. Sie ist der Soundtrack, der die Geschichte vorantreibt, der ins Blut geht und mich das Tempo bestimmen lässt. Es ist die große Erfüllung, wenn der Leser einen Rhythmus, eine Melodie spürt, ohne die Musik zu hören.
Wer Szenen oder Gedanken oder Songs in meinem Schreiben wiedererkennt, hat beim Lesen seinen eigenen Spaß, aber wem sie nichts sagen, dem fehlt meiner Meinung nach nichts und der kann das alles aber über meine Homepage entdecken, wenn er Lust dazu hat.

Du hast in Deinem neuen Roman gewisse Schauermomente weniger oft als in Sorry eingesetzt. Waren Dir dieses Mal die familiären Verwicklungen, die Vater-Sohn-Geschichten, die Psychologie der Figuren wichtiger?

Ich bin ja nicht einer von den Typen, die den Leser mit Szenen erschrecken, weil ihnen der Effekt wichtig ist. Ich gehöre eher zu der Sorte von Schreibern, die dem Leser furchtbar gerne Angst machen, ohne dass der Leser weiß, woher dieses unangenehme Gefühl kommt. Da ist so ein finsterer Teil meiner Seele, der sich immer wieder rausschleicht und dem ich gerne freien Lauf lasse. Ich gebe mir dabei Mühe, subtil zu sein. Kein billiges Erschrecken, kein Irrer, der plötzlich durch ein verschlossenes Fenster ins Haus springt, auch keine zweihundert Tauben, die in der Besenkammer warten, dass jemand die Tür öffnet.
Was man natürlich so oder so sehen kann, denn die Anfangsszene von Sorry ist ja nicht gerade ein Meisterwerk des Subtilen, aber sie hat ihre Berechtigung und ist nicht das Ziel der Geschichte. Meine Grausamkeiten muss ich als Schriftsteller selbst verstehen, sonst sind sie eben nur Effekte, und das ist im Kino okay, wenn man mal die Hand des Mädchens links von sich greifen will, aber beim zweiten Schauen ist es nur ein Gähnen wert.
Bei Sorry war das Thema Freunschaft vorrangig, in DU ist es durch die familiäre Facette erweitert, dennoch sehe ich die Freundschaftsverbindung noch immer als das Hauptelement. Und dass ich die Psychologie meiner Figuren liebe und achte und ehre, das muss ich nicht wiederholen und mache es dennoch.

Willst Du mit Figuren wie Ragnar und seinen Helfern auch ein kriminelles Berliner Milieu authentisch schildern oder interessiert Dich so etwas nicht?

Ragnar ist als Logist keiner von denen, die dem kriminellen Milieu zusprechen, auch wenn er mit ihnen arbeitet. Er hält seine Distanz, obwohl er seine Mannschaft um sich herum hat. Ihre Reaktionen sind im Verlauf der Geschichte nur Reaktionen auf das, was passiert ist. Angetrieben von Wut und Verzweiflung. Nie würden sie so in der normalen Öffentlichkeit agieren. Das Milieu habe ich außen vor gelassen, das kommt in einem anderen Roman. Hier war es mir eher wichtig, die fast familiäre Situation zwischen den Männern darzustellen. Wie sie sich um alles kümmern, wie sie zu einem Wesen werden, das die Beute jagt.

Du wagst sprachlich manchmal viel. „Die Sonnenstrahlen kratzen über die Terrasse wie ein Irrer, der sich die Nägel nicht geschnitten hat“ – sammelst du solche Einfälle außerhalb des Schreibtisches oder kommt Dir dies in den Sinn, während Du die Szene niederschreibst?

Alle Vergleiche und Bilder sind im Moment des Schreibens entstanden, ich bin da im Fluss der Geschichte und die Bilder tun sich auf wie Sonnenuntergänge, die nur einmal kommen und an die sich der Betrachter schon Minuten später nicht mehr richtig erinnert. Es ist ihre Spontanität, die sie für mich zum Leuchten bringt.

Neben der Du-Form gibt es auch häufig den Pluralis Majestatis, etwa wenn der Erzähler zu einer Figur sagt: Wir haben dich jetzt ein Stück weit begleitet, aber wir erzählen hier nicht dein ganzes Leben, gleich musst du abtreten. Der Leser erlebt die Allmacht des Autors, vertraut sich seinen Manipulationen an. Worin liegt für Dich die Freude an solchen Interventionen?

Ich benutze diesen Stil, weil ich dem Leser genau dieses Gefühl geben will – ich weiß alles, ich wiege ihn in Sicherheit, wiege auch meine Charaktere in einem Kosmos des Wissens und habe dann einen höllischen Spaß, ihnen den Boden unter den Füßen wegzuziehen. Es hat auch viel mit der Du-Form zu tun. Schon bei Sorry zog es sich durch die ganze Geschichte, so dass meinem Charakter Meybach direkt gesagt wurde, das und das sind deine Feinde, nimm dich in Acht. Ich mag das sehr. Meistens entsteht dieser Form, nachdem ich herausgefunden habe, wie die Geschichte im Ganzen aussieht.

Die Komplexität der Handlung ist hoch, es gibt viele Personen, Perspektiven und Flashbacks. Glaubst Du, dass der Leser genügend Puzzleteile zusammensetzen und immer folgen kann?

Ich traue dem Leser eine Menge zu und da ich viel Arbeit in die Geschichte gepackt habe, verlange ich gleichzeitig eine Menge vom Leser. Einen Leser immer bei der Hand zu halten, ist dreist. Ich will, dass er meine Rätsel knackt, dass er mich verflucht und versteht und sich in der Dunkelheit verliert und zum Licht zurückfindet. Denn da ist immer Licht.

Es ist von Menschen „ohne Seele“ die Rede und von solchen „ohne Herz“. Beziehungsweise von einem Unwesen, das in der Tiefe haust, sowie einem Dämon, der in der Dunkelheit geboren wurde. Dies stammt aus einem Märchen, das in DU erzählt wird. Woher hast Du das?

Die Geschichte von der Tiefe und der Dunkelheit kam aus dem Nichts und ich habe keinen blassen Schimmer, was sie inspiriert hat. Ich tippe aber, dass es schon eine Menge mit den Märchen zu tun hat, mit denen ich aufgewachsen bin. Hauff, Andersen und ganz besonders E.T.A. Hoffmann gehören dazu. Es ist dieser unermüdliche Versuch, das Böse zu verstehen – das Gute interessiert mich da nicht so sehr, ich will wissen, woher die Dunkelheit kommt, ob sie sich selbst als Dunkelheit sieht und was sie eigentlich von mir will. Es ist eine rein persönliche Geschichte – meine Familie, meine Herkunft, meine Sicht der Welt.


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Interview mit dem Krimi-Forum, Petra Plaum

Gerade hast Du für Sorry den Friedrich-Glauser-Preis erhalten. Schon mal was von Glauser gelesen? Falls ja, wie war der Eindruck? Was hat Glauser mit dir zu tun?

Ich habe die Glauser-Ausgabe von Zweitausendeins bei mir rumliegen, in der alle seine Romane versammelt sind. Bisher habe ich den ersten Roman gelesen und war überrascht, daß er noch immer funktioniert. Es gibt ja Bücher, die überleben die Zeit nicht, aber Glausers genauer Blick, wie er seine Geschichte aufbaut, das war eine Freude. Und das fäßt es schon zusammen, was Glauser mit mir zu tun hat. Meine Lehrer kommen von woanders. Ed McBain, John Sandford, Lars Saabye Christensen, William Goldman. Und weitere hundert Autoren.

Dein Buch DU führt die Erzählweise und die Stimmung, die Sorry vermittelt, konsequent weiter. Noch mehr Charaktere, noch mehr versteckte Philosophie, noch mehr düstere Stimmung, noch mehr Tempo. Man möchte denken, DU hätte doppelt so lange gedauert . . . wie lange hat es von der Idee bis zum fertigen Buch eigentlich gedauert?

Die Idee gab es schon seit längerer Zeit. Ein Kapitel von Stinke existierte seit sechs Jahren, und die Geschichte des Reisenden mit dem Swimmingpool war auch so alt. So gesehen ist DU eine Sammlung einer langen Zeit des Schreibens. Es hat ein wenig gebraucht, bis alle Geschichte für das Buch reif waren. Die Furcht, die mir Sorry beim Schreiben gemacht hat, hat DU zum Glück nicht ausgelöst. Es war um vieles leichter, dieses Buch zu schreiben, es kam alles in einem unglaublichen Tempo aus mir ehraus. Eigentlich sollte die Geschichte nach 300 Seiten abgeschlossen sein, doch dann packte mich ein neuer Erzählstrang und ich saß da und dachte, wo soll denn das noch hinführen. Es hat mich sehr weit weggeführt, aber es kam keine Erschöpfung auf, es war mehr die Faszination, wohin die Charaktere wollen und was alles in meinem Kopf lauert. DU sollte ein Schritt nach vorne sein, so wie jeder neue Roman ein Schritt nach vorne sein sollte. Sorry war ein Stil, der in DU wieder aufgegriffen und verfeinert wurde. Ich traute mir ein größeres Ensemble zu und fand heraus, daß meine Charaktere eine Menge zu verbergen hatten. Nach einem halbe Jahr war das Buch fertig.

Der Reisende, eine zentrale Figur in DU, erinnert sich an eine Geschichte aus der Kindheit. Die Geschichte von der Tiefe und der Dunkelheit. „In jeder Tiefe haust ein Unwesen, das nur aus Zähnen besteht und jede Seele frisst, die sich ihm nähert. (...) Und dann wohnt in jeder Tiefe ein Dämon, der ohne Herz geboren wurde und Herzen frisst, um seinen unstillbaren Hunger zu besänftigen. (...) Seit Ewigkeiten versuchen sie zusammenzukommen, denn erst wenn sie zusammenkommen, werden sie Ruhe finden.“ (S. 377/378) Woher stammt diese Geschichte, und war sie zu Anfang deiner Planung für DU schon in deinem Kopf? Falls nein: Was war dann die Grundidee, der Zündfunke für den Roman DU?

Die Geschichte des Reisenden ist mit dem Buch gewachsen. Ich weiß, das klingt immer so, als ob der Autor keinen Schimmer hat, was er da eigentlich anstellt. Stell es dir so vor: Ich entdecke beim Schreiben meine Charaktere. Ich erwecke sie zum Leben, lasse sie auf eine verschneite Autobahn los, lasse sie über zwanzig Leute ermorden und sitze danach da und denken: Was zum Teufel sollte das denn? Wir reden hier nicht von geplanter Effekthascherei oder der Suche nach dem nächsten Schocker. Es ist mehr der Autor, der seinen Weg durch die Landschaft seines Schreibesn sucht. Und wenn ich dann unterwegs bin, verlange ich nach Antworten, erforsche und enträtsele den Charakter, versuche herauszufinden, was jemanden wie den Reisenden ticken läßt. Am Ende muß das natürlich rund und clever aussehen und die Überraschungen müssen sitzen, was sie oft genug tun, weil ich mich ja selbst damit überrasche. So setzte sich die Kindheitsgeschichte des Reisenden wie ein Puzzle zusammen. Ich spürte, daß sich mein Charaker von der ersten Seite an nicht greifen ließ, also durfte er sich frei bewegen und ich gab mich mit den dürftigen Informationen zufrieden, die er fallen ließ.

Du nimmst einen mit in die Lebenswelten junger Mädchen, deren Jugend kein Zuckerschlecken ist. Zu Teenies, die zwischen Selbstzweifeln, Lebenshunger, Angst vor Schwangerschaften, ödem Sex, Sehnsucht nach Liebe und Neugier auf Drogen und andere Kicks schwanken. Warum ausgerechnet Mädchen? Und wie hast du die Jugendsprache, das Insiderwissen über Schwangerschaftstests, den Geschmack von Penissen und andere Dinge, die die „süßen Schlampen“ umtreiben, recherchiert?

Da wird nicht recherchiert, da läßt sich der Schriftsteller auf seine Charaktere ein. Ich habe mit Stinke angefangen und ihren Ton gefunden. Was bei der Du-Perspektive besonders angenehm ist, denn du bist in dem Charakter, dirigierst ihn atmest ihn. In meinem Roman Cengiz & Locke hatte ich nur mit Jungs zu tun. Das war zwar ein Spaß, doch als ich dann einen Mädchencharakter ausprobierte, merkte ich, da ist mehr, da ist mehr Humor, da ist mehr Wärme. Mich interessieren die Gedanken und gegenwärtigen Sorgen von jungen Mächen kein Stück, ich bin ein Typ, ich habe mein Leben und in mir ist kein Sozialarbeiter verborgen. Mich interessiert die Welt meiner Charaktere, und wenn die sich mit Realität überschneidet, dann soll es so sein. Alles andere - der Versuch, die Sprache nachzumachen, hipp zu sein - finde ich anbiedernd. Da ich noch nie Interesse hatte für ein Publikum zu schreiben, schreibe ich weiter für die Personen in meinen Geschichten (und versuche ohne großen Erfolg zehnmal in einem Absatz Charaktere zu sagen). Wenn du in einer Geschichte wirklich drinsteckst, dann weiß du, wie es sich anfühlt, bis zum Kehlkopf mit Heroin zugepumpt zu sein, was für eine Furcht dich ergreift, wenn deine Tage ausbleiben, wie sich das Gewicht einer Waffe anfühlt, die bald töten wird, oder wie es schmeckt, wenn ein aufgeregter Teenie will, daß du ihm einen bläst. Das ist Schreiben.

In DU sterben nicht immer die Bösen und Fiesen. Glaubst du im richtigen Leben an eine Art höhere Macht, an Gerechtigkeit? Warum/warum nicht?

Keine Gerechtigeit, sorry. Vielleicht eine leichte Balance, aber mit Gerechtigkeit kann diese Welt nicht dienen.

Ein Killer, der Dutzende von Menschen binnen weniger Stunden tötet. Eine zarte 16-Jährige, die einen hartgesottenen Hitman erledigt. Eine Kampfmaschine von jungem Mann, der schießt wie von Sinnen und fast immer daneben trifft. Hmmm. Erinnert an Hollywood, Filme wie Charlie's Angels, Heat oder zuletzt Salt: superspannend, aber nicht wirklich realistisch. Warum hast Du dich für solche Szenen entschieden?

Na, da kannst Du dir ja denken, daß ich dir durch und durch widerspreche. Der Mythos des Reisenden ist für mich vollkommen möglich, nichts ist leichter als zu töten, besonders wenn man will, wenn man es mit Abstand macht und an diesem bestimmten Wintertag im Frühjahr 2007, als ich im Auto, als ich im Stau festsaß, wäre es ein leichtes gewesen, die Opfer des Reisenden zu toppen. Genauso ist der Überraschungsmoment, den mein zartes Mädchen nutzt, um sich eines Hitmans zu entledigen - falls du da von Schnappi redest, dann ist es der unspektakulärste Tod in meinen Büchern und sehr sehr einfach nachzuvollziehen. Oder meinst du Rute, auch das ist simpel. Nichts ist einfacher, als einen arroganten Bastard mit Gewalt zu überraschen, wenn du ein Mädchen bist. Und daß jemand wie blöde mit einer Knarre drauflosballert, die er noch nie benutzt hat, und nicht trifft, erneut ein sorry, realistischer geht es nicht.

Du hast bei mir keine Verfolgungsjagden, wo jemand von einem Auto aufs andere springt, denn das ist Blödsinn und schön anzusehen. Du hast auch nicht jemanden, der von achtzehn Leuten ins Kreuzfeuer genommen wird und sich duckt und nicht getroffen wird, denn auch das ist Blödsinn. Das habe ich in Wenn die Kugel zur Sonne wird, und da ist es ein bewußter Heidenspaß. Ich überlege mir die Szene sehr genau, lasse sie fließen und habe ein instinktives Gespür, wo die Genze liegt. In einem Actionfilm ist es okay, aber wenn man an der Realität entlangschabt, sollte es Hand und Fuß haben. Ich habe mir sehr viel Mühe gegeben, dieses Gleichgewicht zu halten.

Du bist freier Schriftsteller, seit du 22 bist, und lebtest lange von Stipendien, deine Bibliographie beginnt jedoch erst 1998. Aufmerksame Leser fragen sich natürlich, was du in den neun Jahren zwischen Stipendium Nr. 1 und Buch Nr. 1 getrieben hast und wann und wie aus dir der international erfolgreiche Schriftsteller wurde, der du heute bist. Was hat dich all die Jahre aufrecht gehalten, was immer wieder neue Bücher schreiben lassen?

Damals habe ich mich ja mit meinem guten Freund Gregor zusammengetan. Wir haben uns finanziell gegenseitig über Wasser gehalten - ich Stipendien und blöde Jobs, er ist Taxi gefahren und hat gehofft, daß ich es bald schaffe. Wir waren naiv, wir waren Freunde. In der Zeit schrieb ich ohne einen Gedanken an Veröffentlichung. Es ging und geht ums Schreiben. Es ging darum, jeden Blödsinn aus deiner Seele rauszuschreiben. Der pure Rausch des Schaffens. Jedes Jahr wurden zwei Romane fertig, dazu eine Handvoll Kurzgeschichten und viele, viele Gedichte. Jeder, der schreibt, muß mit seinem Schreiben wachsen. Ich habe mir den Raum und die Zeit dafür genommen und es war das Beste, was mir passieren konnte, da ich niemanden bedienen mußte - keinen Markt, keinen Verlag. Sobald ein Roman fertig war, lasen ihn meine Freunde und ich ging an das nächste Buch. Ich schrieb auch über meine Kindheit und fand heraus, wer ich eigentlich bin und wie es dazu kam. Auf diese Weise entstanden die ersten Kinder- und Jugendbücher. Ich habe keine Ahnung von Jugendlichen, ich kenne nicht einmal welche. Und auch Kinder sind mir fremd und werden mir erst vertraut, wenn ich in meinen Geschichten von ihnen erzählen. Ich finde es recht anbiedernd, sich hinzusetzen und mit Jugendlichen zu reden und ihr Leben, ihre Sprache, ihre Gedanken dann im Schreiben zu kopieren. Man muß das Jugendliche im Blut und im Schreiben haben, man muß sich für die jungen Charaktere in seinem Kopf interessieren. Wenn sie etwas zu sagen haben, sollte man darüber schreiben, wenn nicht, sollte man lieber den Mund halten. In den letzten Jahren habe ich lieber über Kinder und Jugendliche erzählt, weil ich sie durchgeknallter und witziger fand. Ich traue ihnen mehr zu als Erwachsenen, deswegen wurden sie bei mir für eine Weile zum Thema.
Aber zurück zu deiner Frage - ich habe mich in dem Zeitraum blöde geschrieben und mich hat der simple Glaube aufrecht gehalten, daß ich großartig und verrückt bin und etwas zu erzählen habe. Und es ist natürlich keine Überraschung, daß die ersten Manuskripte und Romane prächtiger Schrott waren, denn auch der muß erstmal aus dem System raus. Ohne den Glauben an dich selbst, ohne daß Gefühl, daß du etwas kannst, was nicht jeder kann, macht es keinen Sinn Bücher zu schreiben. Da bist du dann nur einer von Vielen und von den Vielen gibt es da draußen genug. Und natürlich waren Freunde ein Motor, und natürlich waren Bücher, Filme und Musik der Treibstoff. Ohne würde ich im Ökoladen hinter der Kasse stehen und dir ein Stück Käse zum Kosten anbieten.

Du ziehst nach Irland! (Zehntausende von Lesern werden an dieser Stelle neidgrün.) Und deine wunderbare Freundin und Muse kommt mit! (Jetzt werden Millionen neidgrün.) Du weißt aber schon, dass es dort seeehr selten schneit, oder? Und: Was magst Du deinen Lesern über dein neues Leben verraten? Mühle, Cottage, Schafe, Pferde, Ziegen, oder wie sonst werdet ihr leben?

Wie Du dir denken kannst, wird natürlich meteorologisch alles ungeworfen, sobald ich das Land verlasse. Nach einem Jahrtausend schneefreiheit gab es prompt in diesem Winter vier Wochen Schnee in ganz Irland und das Land lag flach und ich grinste in den Schnee hinaus. Aber es gibt keinen großen Grund für Neid, denn Ende des Jahres packe ich meine Sachen wieder und komme zurück. Schau dir mal meine Mühle auf den Photos an, die man auf meiner Homepage sieht. Das ist mein Zuhause, daß ich zurücklassen wollte. Da habe ich mich aber geschnitten. Meine Mühle verlangt nach mir, die Sehnsucht ist groß und ich leide unter Heimweh. Ich bin einfach in die falsche Richtung gelaufen und kehre geläutert wieder. Mit Muse natürlich, die es bedauert, aber die auch merkt, daß ein Zuhause nicht überall sein kann.

Treue Leser wissen, dass Du ganz viel mit deinem Freund Gregor Tessnow zusammenarbeitest, dass ihr beruflich und privat schon eine Menge gestemmt habt, u.a. die Drehbücher zu Knallhart (Gregors Roman) und Du bist zu schnell (deinem Roman). Wie werdet ihr eure Freundschaft und Zusammenarbeit pflegen, wenn euch mehr als 1000 Kilometer trennen?

Die Freundschaft ist leider schon seit einer Weile am Bröckeln und besteht mehr aus Erinnerung und guter alter Zeit. Ich kann nicht genau den Finger darauf legen. Gregor geht seinen eigenen Weg und da passe ich nicht so richtig rein. Das heißt auch, daß die Zusammenarbeit immer rarer wird. Und ich bin noch immer ich und manchmal stehe ich da, als hätte mir jemand ein Brett vor den Kopf geschlagen, und weiß nicht, wohin diese Freundschaft verschwunden ist.

Worauf dürfen sich deine Fans als Nächstes freuen: Auf welche Filme, Romane oder Bilderbücher? Und hast Du schon mal über die Besetzung der Hollywoodverfilmung von DU nachgedacht?

Im diesem Jahr arbeite ich an vier Büchern. Die tollkühnen Abenteuer von JanBenMax werden fortgesetzt in Die tollkühne Rückkehr von JanBenMax, dann geht Die Kurzhosengang in die dritte Runde und dann gibt es noch zwei Romane, aber über die kann ich nichts sagen. Das Drehbuch für Sorry ist fertig und wird hoffentlich eines Tages das Licht der Filmwelt sehen, erstmal erscheint es in diesem Herbst in Amerika und im Frühjahr darauf in England. DU macht gerade die Runden und ist ins Ausland verkauft, mal sehen, wie dieses Buch weiterwächst. Weit oben auf meiner Liste steht ein Gedichtband mit Photographien, ich denke, das rundet es ab. Es gibt eine Menge zu tun, aber erstmal komme ich nach Hause.


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Interview zu Sorry mit Ulrich Noller
30. November 2008

Sorry, aber: Wie kommt man eigentlich auf so eine Geschichte?

Man träumt davon. Der Traum war recht simpel. Ich war einer von vier Freunden, die sich auf der Straße trafen. Ich habe von meiner Idee erzählt, eine Agentur zu gründen, die sich für gute Bezahlung bei anderen Leuten entschuldigt. Als ich aus dem Traum erwachte, war ich so müde, daß es mir nicht einmal gelang, das Licht anzuschalten. Ich habe mir vom Nachttisch einen Stift gegriffen und den Namen der Agentur im Dunkeln auf meine Handfläche gekritzelt. Manchmal reicht ein Wort, um sich an einen Traum zu erinnern; manchmal wird ein Buch daraus.

Vier Berliner um die 30, die eine Agentur für Entschuldigungen betreiben, werden von einem Killer beschäftigt - und bedroht. Was interessiert Dich eigentlich ausgerechnet an diesen Personen, diesen Anfangsdreißigern?

Freunde von mir gehören zu diesem Alterskreis. Ich bekomme ihr Leben mit, ihre Erwartungen und ganz besonders ihre Verzweiflung sich in unserer Zeit zu behaupten. Sie springen von einem Job zum anderen und machen für laues Geld eine idiotische Praktika nach der anderen, sind überqualifiziert und bekommen wenig Geld für Arbeit, die mehr wert ist, aber der Markt diktiert sie und sie lassen sich diktieren. Ich mag ihre Erwartungen und Hoffnungen, auch ihr Versagen berührt mich und all das floß in den Roman hinein.

Woher rührt die eigentliche Bedrohung für sie: vom Killer - oder von der Unabsehbarkeit der eigenen Perspektiven?

Ihre eigentliche Bedrohung ist ihre eigene Unsicherheit, das Mißtrauen untereinander und die glorreiche Frage: Was, zum Teufel, tue ich denn jetzt? Entscheidungen und die dazugehörenden Konsequenzen schließen sich wie eine Schlinge. Und dann ist da natürlich jemand, der möchte, daß sie sich für ihn entschuldigen.

Hast Du mit dem Buch eine bestimmte Zielgruppe im Sinn? Für wen ist es geschrieben?

Ich hasse Zielgruppengeschreibe. Ich schreibe und schwitze und acker für meine Charaktere, weil sie mich beschäftigen, weil sie ein Eigenleben führen und für mich echt sind wie du und ich. Mir geht es um die Geschichte, um das Beobachten der Umstände, auch wenn ich immer weiß, daß ich eingreifen und verändern kann. Ein Schriftsteller muß im Gefühl haben, wie weit lasse ich meinen Charakteren freien Lauf und wann ziehe ich die Grenze. Ich hasse Grenzen, was man an dieser Geschichte besonders gut erkennen kann. Und ich kann manchmal schrecklich undiszipliniert sein.

Du bist sehr bekannt als Kinder- und Jugenbuchautor. Explizit Erwachsene richteten sich bislang nur Deine bei Klett erschienenen Romane Du bist zu schnell und Yugoslavian Gigolo. Jetzt hast Du den Verlag gewechselt, Sorry erscheint bei Ullstein. Und der Verlag hegt, so scheint es, große Erwartungen. Aufgeregt?

Schlaflos aufgeregt und unglaublich ruhig und dann immer wieder hysterisch und wieder fröhlich, plötzlich panisch, dann wieder still und grinsend, aber hauptsächlich ahnungslos, was passieren wird.

Apropos Yugoslavian Gigolo ... Du bist als Dreijähriger aus Kroatien nach Berlin gekommen, dort im Migrantenmilieu aufgewachsen. Welche Rolle spielt das für Dein Schreiben?

Eigentlich keine. Und das eigentlich weil ich Bücher geschrieben habe, die etwas damit zu tun haben. Sie handeln von meiner Kindheit/Jugend. Aber ich hätte auch aus Paraguay kommen können, das hat eigentlich nicht wirklich etwas mit dem Schreiben zu tun. Es ist ein wenig so, als ob ich mit bestimmten Buntstiften male, weil ich von da und da komme. Mit der Herkunft ändert sich das Repertoire der Farben. Ich bin da, wo ich bin und das ist meine Herkunft.

Du hast niemals eine Ausbildung abgeschlossen, weil Du immer nur eines wolltest: Schreiben. Woher hast Du den Mut genommen, das so umzusetzen?

Ich habe keine Idee. Hauptsächlich war es reine Naivität, die mich durch das Leben trudeln ließ. Ich wußte nie, was ich erreichen wollte. Schreiben stand auf meinem Plan, aber der Gedanke Schriftsteller zu werden, der kam mir erst nach dem ersten Stipendium, als da Schwarz auf Weiß stand, daß ich ein Schriftstellerstipendium bekommen hatte und voilà ich war Schriftsteller. Ich wußte wirklich nicht viel, nur daß ich etwas vom Leben wollte, das wanderte wie ein Buschfeuer durch meinen Kopf. Bücher hatten mich das gelehrt. Was du auch tust, hol dir was vom Leben, denn dafür ist es da. Ich hatte (und habe) die Zuversicht, egal, was ich tue, egal, worauf ich mich einlasse, egal, wohin ich gehe und wem ich begegne, es wird richtig sein. Auch all der Mist, die Pleiten und Fehler gehören dazu. Ohne geht es nicht. Und dann ist da natürlich noch mein Kumpel Gregor gewesen, aber das ist eine ellenlange andere Geschichte.

Du lebst in einer alten Mühle unweit von Berlin. Draußen: Dorfatmosphäre. Drinnen: Tausende DVDs, CDs und Bücher. Was inspiriert Dich mehr: Das Draußen oder das Drinnen? Oder das Draußen im Drinnen?

Das Draußen - also nicht die Dorfatmosphäre, eher die Welt allgemein - ist unerläßlich für das Schreiben, es ist der Sauerstoff, ohne den sich nichts mehr bewegen würde. Das Drinnen - Musik, Filme, Bücher - ist das Futter, daß mein Schreiben am Brennen hält. Innen versammeln sich alle Gedanken und werden zum Zoran, außen kommt alles auf mich zu und ich mach es zum Zoran. Und jetzt fehlt nur noch, daß ich einen esoterischen Ratgeber schreibe.

Das Schreiben hat für Dich nicht zuletzt auch mit dem Tod zu tun. Beziehungsweise mit der Vertreibung des Todes. Inwiefern?

Da kommen eine Handvoll Geschichten zusammen. Die wichtigste ist mein sehr guter, toter Freund Sebastian, der vor über achtzehn Jahren ertrunken ist und dessen Tod mein Schreiben und Denken in eine andere Richtung gelenkt hat. Da war Fassungslosigkeit, da war Wut und ganz besonders der Wunsch das Geschehene ungeschehen zu machen. Und so begann ich gegen den Tod anzuschreiben.

So gesehen ist die Form des Thrillers eigentlich eine gewagte, oder? Was interessiert Dich am Thriller?

Ich mag es, die Spannung hochzutreiben. Ich mach es, wenn die Ausweglosigkeit grinsend vor mir steht und ich zeige ihr den Ausgang. Und manchmal versage ich. Und manchmal kann ich meine Charaktere einfach nicht retten, was ich auch tue, es klappt nicht. Die Form des Thrillers ist wie die Form eines guten Horrorromans. Du jagst den Puls hoch, du bringst die Welt zum kippen und hoffst, daß es alle überleben.

Womit hat Sorry eher zu tun: Mit dem Film Knallhart, für den Du, zusammen mit Deinem Kumpel Gregor Tessnow das Drehbuch nach seinem Roman geschrieben hast? Oder mit Geschichten wie Die Kurzhosengang, die Du unter dem Pseudonym Victor Caspak & Yves Lanois geschrieben hast?

Sorry hat nichts mit Knallhart zu tun, so wenig wie mit der Kurzhosengang. Das ist so, als würden wir über die asiatische Küche reden und dabei die ganze Zeit in einem dänischen Kochbuch blättern. Der große Spaß am Schreiben ist für mich der Wechsel der Genres. Knallhart ist ein eigenes Genre und auch nicht mein echtes Baby, sondern das von Gregor, da habe ich nur beim Schreiben des Drehbuchs geholfen. Und Die Kurzhosengang ist eine Welt für sich, und so weit weg wie Dänemark von Japan.

Welche Rolle spielt die Form, wenn Du schreibst? Insbesondere im Genrebereich ist das ja nicht ganz unerheblich.

Die Form entscheidet die Geschichte, sie wird von den Charakteren vorgegeben und ich bin der Typ der sich oft die Haare rauft, weil er den richtigen Ton sucht und keine Ahnung hat, was seine Charaktere eigentlich wirklich wollen. Auch das ist eine Kunst für sich. Die Valance zwischen den handelnden Personen zu halten, damit keiner neidisch wird auf den anderen. Ich habe keine Ahnung, wie oft ich schon Perspektiven umschreiben mußte, um mich den Wurzeln der Geschichte zu nähern. Es hat aber nichts mit dem Genre zu tun, das ist auch nur wieder eine Schublade, die klemmt und klemmt.

Eingewoben in Deine wirklich packende Thrillerhandlung erzählst Du von sexuellem Mißbrauch - aus Opferperspektive. Und zwar ziemlich heftig - wie auch auf ganz besondere, ungewohnte Weise. Warum diese Geschichte? Hattest Du nicht die Befürchtung, in typische Mißbrauchs-Krimi-Erzählweisen zu geraten?

Es gibt auf der Welt viele Grausamkeiten, die wir versuchen zu ändern, aber nicht ganz und gar ändern können. Und es gibt Grausamkeiten, die wir verändern müssen, sonst sind wir es nicht wert einander als Menschen zu bezeichnen. Der Mißbrauch von Kindern ist kein Thema für ein Buch, er ist kein Diskussionsabend oder dieses kleine Etwas, von dem wir in der Zeitung lesen. Der Mißbauch von Kindern ist die Krone der Grausamkeit und schon wenn ich darüber nachdenke, könnte ich das kalte Kotzen kriegen, was alles hinter verschlossenen Türen vorgeht, Tag für Tag, wieviele kranke Menschen unermüdlich Seelen zerstören. Laß mich damit bloß nicht anfangen.
Als ich mit Sorry anfing, wußte ich nicht, wohin die Geschichte mich führt. Sie hat ihren eigenen, dunklen Abzweig genommen und irgendwann stand ich in einer finsteren Landschaft und hatte keine Idee, wie ich da hingekommen war. Deswegen hat es auch zwei Jahre gedauert, bevor das Buch fertig war. Es hat mir eine Höllenangst gemacht. Ich weiß nicht wirklich, warum gerade diese Geschichte. Ich werde es in einem Jahren begreifen, wenn ich ein wenig Abstand habe. Ich weiß nur, daß es viel mit Wut und Verzweiflung zu tun hat. Mehr weiß ich nicht.

Auch hier wabert und zischt und flirrt die Angst. Deine eigene Angst?

Es ist im Verdergrund die Angst um andere, und dann natürlich die Angst vor der eigenen Unfähigkeit, Leiden zu verhindern. Mir hat das Buch eine Heidenangst eingejagt, so daß ich mich vor der Geschichte drückte und nebenbei drei Kinderbücher schrieb. Als ich mich dann zusammenriß, begann der Winter 2007 und mit ihm eine dunkle Zeit, auch für meine Mitmenschen, denn ich hörte auf mich zu rasieren, sah aus wie ein Waldschrat und erblickte kaum noch Tageslicht, weil ich bis acht Uhr morgens ackerte, ins Bett fiel und gegen fünf Uhr Nachmittags im Dunkeln wieder wach wurde. Der gebliebene Restbart ist ein Tribut an diese Zeit und das Buch. Wir Schriftsteller zahlen am Ende immer drauf, damit die Ängste uns für eine Weile in Ruhe lassen.

Sorry - war das die Geburt des Kriminalschriftstellers Zoran Drvenkar?

Sorry ist kein wirklicher Krimi. Ich habe keine Schimmer, was es ist. Ich bin auch zu alt um noch einmal geboren zu werden. Ich schreibe, was ich immer schon schreibe. Geschichten. Mehr ist es nicht.


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Interview zu Sorry mit Eckart Baier für das Buchjournal (ungekürzte Fassung),
12. Januar 2009

Sorry ist ein Thriller, der schockiert und verstört. Wie ging es Ihnen beim Schreiben?

Anfangs war ich mir sicher, ich würde mich auf eine einfache Geschichte einlassen, die von der Idee einer Agenturgründung angetrieben wurde. Je weiter ich mich aber in die Handlung hineinbewegte, um so tiefer geriet ich in einen düsteren Albtraum, der mich kalt von der Seite her erwischte. Das Buch kam mir bedrohlich vor, so daß ich fast ein Jahr lang mit dem Schreiben ins Stocken geriet. Ein Schriftsteller sollte sich nicht vor seinem Buch fürchten, und wenn er sich fürchtet, muß er sich den Dämonen stellen. Und das wurde dann die härteste Arbeit.

Das Buch kreist um das Thema Schuld, um Gut und Böse und um den Sinn von Strafe. Eine moralische Bewertung der Taten fällt dabei schwer - lag das in Ihrer Absicht?

Da ich sehr aus dem Bauch heraus schreibe, wußte ich bei der Entstehung der Geschichte nicht, was meine Absichten waren und wohin ich überhaupt unterwegs war. Vom Kern her will ein Schriftsteller natürlich einiges erreichen - Spannung, Unterhaltung, Logik - und hofft, daß er sich irgendwie durchblufft und am Ende ein rundes Ganzes vorzuweisen hat. Als sich der Plot herauskristallisierte und ich zu begreifen begann, was da eigentlich gespielt wurde, mußte ich Entscheidungen treffen. Ich wollte nicht das üblische Thriller-Klischee bedienen. Ich kannte genug Krimis und Thriller, ich wußte auf welchem Feld die Kartoffeln wuchsen. Meine Absicht war neue Türen aufzustoßen und die Klischees zu umgehen. Und mir war es sehr wichtig in der Geschichte fair zu meinen Charakteren sein. Kein Dunkel, kein Hell, sondern die Schatten dazwischen interessierten mich.

Hatten Sie die komplette Handlung und den Schluss beim Schreiben immer vor Augen?

Leider nicht. Ich wünschte, es wäre so gewesen. Ich habe meinen guten Freund Gregor bis aufs Blut gequält mit plötzlichen neuen Ideen, skurrilen Wendungen und dem unermüdliche Versuch hinter das Geheimnis meiner Geschichte zu kommen. Ich liebe es beim Schreiben mich ins Nichts hineinzubewegen und langsam die Terretorien zu entdecken, die aus dem Roman ein Landschaft machen. Das Ende entsteht meistens aus dem Schreiben heraus, es wird von den Charakteren angetrieben und zerreißt mir leider viel zu oft das Herz. Während ich mich dem Finale nähere, hoffe ich immer sehr, daß ich es treffe und nicht daran vorbeischliddere oder zu weit gehe.

Eine Agentur, die im Namen anderer Entschuldigungen überbringt - wie kamen Sie auf diese Idee?

Die Idee war ein Traum. In dem Traum habe ich drei Freunde getroffen und ihnen - wie Kris im Roman - von meiner Idee erzählt, eine Agentur zu gründen, die sich entschuldigt. Als ich aus dem Traum erwachte, stand ich vor dem übliche Dilemma eines übermüdeten Schriftstellers, der sich fragt, ob es sich lohnt für so einen Traum aufzustehen und ihn aufzuschreiben. Die Faulheit siegte, aber ich griff mir noch schnell einen Stift vom Nachttisch und kritzelte den Namen der Agentur auf meine Hand. Auch so kann man Träume bewahren.

Wie lange haben Sie an diesem Buch geschrieben?

Gute zwei Jahre. Das erste halbe Jahr lief wunderbar, dann kam Sand ins Getriebe und ich spürte, wie mir die Geschichte Angst machte und ich mich zu drücken begann. Also schrieb ich an drei Kinderbüchern und beendete sie und stand wieder vor dem Roman, der - wie ein Unwesen, das man verband dachte - beharrlich in den Schatten auf mich gewartet hatte. Schließlich zwang ich mich wieder an die Geschichte ranzugehen. Eine auferlegte Strafe war, daß ich mich nicht rasieren wollte, bis ENDE unter dem Buch stand. Von September 2008 bis Januar 2008 schwitzte ich Blut und Wasser, der Herbst wurde zum Winter und ich arbeitete jeden Tag bis zum Morgengrauen und verschwand dann bis zum Nachmittag im Tiefschlaf. Tageslicht wurde ein Fremdwort für mich. An manchen Tagen war ich so erschöpft, daß ich im Sitzen vor der Tastatur wegnickte. Mein Bart ließ mich wie einen Waldschrat aussehen. Kein Mensch durfte mir zu nahe kommen.

Sie sind (auch) Kinderbuch-Autor und haben in Sorry das Thema Kindesmissbrauch verarbeitet. Liegen Ihnen Kinder (und deren Wohl) besonders am Herzen?

Ich erzähle in meinen Büchern von den Charakteren, die mich interessieren. Ich habe keine Idee, woher die Charaktere kommen. Ich bin wie ein Hotel. Meine Charaktere tauchen auf, belegen eine Suite und wollen, daß ich ihre Geschichten aufschreibe. Mit den Jahren habe ich entdeckt, daß ich Kinder und Jugendliche spannender finde als Erwachsene. Sie haben mehr Humor, sind verrückter, grausamer und haben noch so viel vor sich, daß man die Spannung in jedem ihrer Atemzüge spüren kann. Auch wenn ich keine Kinder habe und keine haben will, lassen mich die Seelen der Kinder nicht in Ruhe. Meine Kindheit war rauh und keine Reise auf dem Karussel. Grausamkeit gegenüber Kindern steht bei mir an oberster Stelle der Tabus. Was Erwachsene einander antun ist ein Buch für sich, was sie aber Kindern antun ist in meinen Augen ein Affront gegen das Leben. Es gibt keine Entschuldigung für Kindesmißhandlung. Mit diesem Satz kann man Bücher füllen: Es gibt keine Entschuldigung für Kindesmißhandlung.

Rezension bei Krimi-Couch.de


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Interview mit einem italienischen Journalisten

If would there really be an agency like the one of Sorry, would there be anybody you would like to apologize to?

Mainly my dog Lucky. She was a small russian poodle and looked a little bit like Bob Marley on a bad hair day. I loved her but I didn’t took good care of her. Once I wanted to see what would happen if I spray some perfume on her nose. How do you explain to a dog that you are stupid and sorry? All the other excuses would go to some characters in my novels - sorry for all the bad things that I couldn’t avoid to write, sorry that I couldn’t save all your lives.

Your book has been selected at the Berlin Cinema Festival among the best 12 books to be transformed in a film: which actors would you like to play in the main characters of the book?

While I was struggling with my novel and trying to do everything else except writing, I searched for the right faces for my characters and finally found them in different movies. Tamara is Lara Prepon (That 70s Show), Wolf is Jake Gyllenhaal (Moonlight Mile), Frauke is Jennifer Connelly (House of Sand and Fog) and Kris is Mads Mikkelsen (Flickering Lights). Right now I am writing the screenplay, it is going to be an international production and I really hope that we catch one of these actors for the movie.

"Der Spiegel" has compared you to Stieg Larsson: what do you think of it?

I couldn’t read Stieg Larsson, I promised a friend of mine to give it a second try, but it’s hard, if you get bored after 20 pages. It would have been nicer to be compared to a knife or a song or a movie. A knife with two edges, a song like ‘Til You Faint from Ghinzu, a movie like Jacobs’s Ladder.

The November issue of "Max" is dedicated to Berlin: are there any secret places of the city you would like to recommend to our readers?

I am in love with good coffee and the best coffee shop you can find is at Kurfürstendamm 72 and a second one at Kirchstrasse 2. It is called Coffeemamas and they roast the coffee on their own coffee-roasting machine that looks like the time machine from the H.G. Wells movie. Espescially the Antigua is a dream. Drink it, buy it, come back to Berlin for more.


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Interview auf Englisch für die Spanier

You wrote a lot for theatre, children’s novels and youthful novels, scripts, games, poems, etc… and you won many awards for that. Why have you decided to write a thriller story?

Sorry is actually my third thriller. I am not dedicated to one gerne and really like it to switch between them. A writer should explore it all, keeping to only one genee is like eating at the same restaurant all the time. For me there is no great difference between a childrens book or a thriller. The characters are always in front, and sometimes they are just eight years old, a little crazy and hungry for live. And sometimes they are thirty, a lot crazy and as hungry for live as a alligator. There is no switch in my head seperating the way of telling. As I am not writing for an audience and not trying to please a readership, it is very satisfying to move from one genre to the other, telling the stories that bother me and espescially the stories of my characters.

In Latin countries we are discussing so much about the genre of criminal stories (detective stories or thriller, as you prefer): authors and critics have two different points of view. Some of them think that this genre is the new social novel (because this kind of books reflects and shows social problems). The others say that these are a kind of new chivalry books, such as a light literature. What do you think about that?

I think readers enjoy it very much to be scared in the sercurity of their homes. It is up to us the writers to take the risks, to explore in our minds the darkness and to come out of it without too many wounds. In the end we tell the reader that there is hope. That is why we are still in the business. The untiring bringers of hope. And it doens’t matter if it is light or heavy, and it doens’t matter if it is social - although i think it is always social - as long as it touches a nerve. And as you found out in the last sentences i wrote, i really have no opinion about it. I do my thinking in the writing, and i really don’t bother a lot about what is happening with genres and where to put them.

Do you think there is any advantage or profit in writing thriller instead of other genres? Is your literature heiress to someone? Which are your favourite authors (classical or contemporary)?

No, I think it doesn’t. You can write sweet teethhurting horse stories for five years old and get rich with it or you can write about a freak with glasses who does magic or about a serial killer who likes to dress up as his mother - in the end it is up to fate and good luck and the fire that spreads within the minds that brings in the money. I see my writing as a big hommage to all the writers that I learned from. There is not one that I can pick out, there are too many of them from whom I learned. They are contemporary writers, as I always had a hard time with the classics. And here is a handful of them: Mark Helprin, Richard Laymon, Richard Brautigan, William Goldman, Joyce Carol Oates, the early Stephen King and John Sandford, Evan Hunter/Ed McBain, Charles Bukowski, Lars Saabye Christensen, Hubert Selby, Larry McMurtry, Andrew Vachss, the early Michael Crichton and a hundred more.

In Sorry the police does not appear until page 186 (Gerald), but then disappears and leaves the characters alone with the maniac. Do you think is it possible to write thriller without police?

I don’t like writing about police. In my dark novels there is always a part where someone says: Let’s call the police. And someone else answers: Don’t do that. That is my subconsions. I like to read about police work, but I am really not able to write about it. There is too much work to do, too much to know and with my stortytelling I think it is more challenging to leave my characters on their own - away from the security that someone else can take over. So I try to get rid of police as soon as I can in a novel.

In Latin countries we said that every German writer always alludes to Nazi extermination camps in his work. We say that it is something like a catharsis. You allude to Dachau and Mauthausen… so, do you think this theory is true?

They probably changed it in the translation, as I wrote Dachau and Auschwitz. And in all of my over 40 novels I have never written one word about the german history. I used it in this novel to compare it to the present crimes (child molesting) that are in my opinion way more important in their damaging way than the crimes of past german history. Maybe it is my croatian/serbian blood that makes me immune to the permanent german guilt. And i really don’t like to read about it anymore in novels. We overdid it in school.

What do you think about creating a serial character, like a detective? Are you going to do it? If yes or not, please tell me why.

John Sandford did it in the best way with Davenport and he should have stopped after the 10th novel, but he went on and now it is just hurting the picture of his character. Ed McBain did it best with his 87th precinct. I think I will not do it. Over the last period of ten years there are some characters coming back in my stories, like they don’t want to give up. Maybe it is my wish to change every time I write a book, to discover new territories that keeps me from staying with a character too long. I enjoy it in other books, and I am too lazy and too curious about other characters to take it up myself. I have two kind-of series for childern running. One ist about a gang of boys called the Short Ones, and I love to write about them but it is difficult in keeping up with the characters as I am growing older and they are still the same age they were 5 years ago. I don’t like big time jumps. Almost all of my novels play in a short time period. A week, some days. Never years. I think I am limited by myself in taking bigger steps. I always want the story to be tight, to close the distance between me and the reader by keeping him for a handful of hours by my side. To have a character for many books and to write him exclusivly woudl be rather terrible. There is so much to tell, so many characters wishing to be on the front line.

There is a phrase in your book that makes me wonder: “Yesterday, today, they make a now; this now turns in today, turns in yesterday”. It seems that only the present and the past exist, you never talk about tomorrow. But “tomorrow” is the cause of suspense in your novel.

Mh, it sound like an misunderstanding. I just looked it up. It is the passage at the beginning of the novel, where I write about memories being layed over each others like dias. And the next sentence goes in my own translation like this: Then and today turns into now and the now turns into today and the now. It looks like the translator took his liberties and maybe I was too confusing for him in my writing. I think it is the latter. This passage is just clarifying for me the moment in the novel where the character sees the woman again and discovers that everything from the past turns into the present and in this way stays the past. The woman is after all those years the woman, altthough she moved forward into the present. And that turns the grown up character back into a boy who saw his best friend being molested. I hope this does make any sense. I think in the now the tomorrow is more or less a wishful thinking that you can’t reach without going through the now and as soon as you arrive in the tomorrown you have a now again. So in all this brilliant ways of me being philosophical it looks like there is no tomorrow.

We know that in Germany you read a lot of thriller stories, but in Spain we only know Gisa Klönne and Volker Kutscher and we do not know a real generation of German authors. Why do you think this happen?

I have no idea how this happens as I read mostly american, canadian and scandinavian authors. For me the german writers are not discovering enough, they are acting on what others are doing and I miss a new and innovativ soul, a new light within the writing. And if you print this I will banned from germanys crime society for life and I will have more enemies as I have already. But as someone said: Keep your friends close and your enemies closer. It is good I am on the irish west coast. They really have to search for me.

What is your favourite public?

Hungry and soemhow crazy readers who like to cross borders, who know that there is more in reading than just turning pages and coming to an ending they expected. There has to be a challenge. For me as a writer and for the reader in every page he turns. I want to give them fear and security, I want them to trust me and to suspect me at the same time. Time has to catch its breath when they read, that makes a good book. And for this I need a hungry reader - someone who doesn’t care if time loses its breath, someone who turns on the light if it gets dark.


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Interview für eine französische Zeitung, alles auf Englisch

Who are you exactly ? Can you introduce yourself?

I am a novelist who comes from a strange family of angry people who didn’t reading with just one exception. My aunt Nada was a lost poet. She was told by her father there is no money in writing so she became a secretary. The curse lay dormant one generation and was passed down to me. So I became the boy who started to read with five years, who was very bad in school, because there where only stories in his head and that really didn’t fit in with chemistry or mathematics. With 14 I write my first poems, with 16 I copied all the writers I liked and learned and learned to fing my own voice. After thirteen unsuccesful years in school the writing took over and there is no stopping since then.

Could you summarize your novel’s plot?

Four friends discover a new business idea, they are nice people, they are naive and they love the way things are going. They never expect the darkness too creep up on them. The writer didn’t expect this too. The rest is up to the reader.

Is Sorry pretty much as it was when you first planned it?

In the beginning I planned a novel about four friends who have a great idea and turn it into business. It should have been a critical novel about our social life and the way we behave with each other. I knew there was more behind the story, but i didn’t expect it to be so much more. After 150 pages I got scared by the story, as two young characters that were never planned stepped into it. They popped up while i was writing, I gave them some rein and the story turned on me and I was scared shitless of my own writing. I put the book away for two years, wrote three children books inbetween to let the steam out. But a writer has to be loyal to his books and espescially to his characters. So i came back and i turned one winter into a long dark night. I hope I have not to do this again.

Sorry is a story of guilt and forgiveness. Is this why the sadistic rites of death and torture are sometimes linked to christianity?

Fanni’s demise is quite christic for instance… No connection with christianity. The way one of the characters dies explains itself later in the book and has a lot of sense. While i was coming to the end of the novel still searching for the big motive, a friend suggested to make it something religious. I didn’t do it, because I think that religion is a stupid excuse for people who can’t take responsibilitis, who can’t manage their life. I didn’t want to lead my novel onto this road. It’s old, worn and boring. As a writer you should always discover new roads to travel on.

Why did you locate the offices in Wansee?

Nice location, beautiful setting and I knew what I was talking about.

Why such a choice of four friends? Which part of you do they represent?

The team mainly represents friends I know or knew. I never write exclusively about myself. There are always pieces here and there, but mainly the characters grow by themself, stealing from life, where life lets them steal.

Tortured, defiled bodies, living or dead, reeking of decay… That’s the underlying thematic of the novel. Could you talk about it?

Nope. And I am not talking about it because it is not interesting. It is not an underlying thematic. My themes are easier to spot. Friendship. Trust. Love. The danger of Love. The bitterness of hate. And the dirty hand of fate. And a lot of anger and misunderstanding. All the above - tortures etc - is the background noise, the splinters under your skin.
Have you seen Our bodies, Gunther Von Hagen’s exhibition? No chance. I don’t like the idea. I also don’t like exposed genitalias where someone sticks a cucumber in it or people puking on each other. And if there is a connection, please let me know.

What do you think of the outcry surrounding dead bodies turned into works of art?

This is not art, this a way to shock the unshockable audience that has to turn to the more morbid because there isn’t enough satisfaction in tv anymore. Leave them to rot, they had to endure a lot in their lifetime.

Has genocides in Germany a special relevance as far as your Croatian ascendence goes?

No.

Usually, in thrillers, pedophiles are dangerous but recognizable perverts. You show them as individuals with a reasoned, rational discourse, in which they seems to believe in (“Fanni” is happy to see “Lars” again.) You use a neuter, chilling tone, which makes it even more horrifying. How did you made this choice?

There was really no choice. There was me going into the mind of my characters and defying them as they are. I have no way to know how they think, live, breathe in reality. I don’t research them, i don’t read files or reports. This is about my characters and about my frustration with a world where crimes are commited to children every minute and we live on and we breathe and we watch dead bodies being presented for our amusement and at the end of the day we have to avert our eyes or we would die slowly deep in our soul every minute a child gets molested. And that is the tough work. Not dying inside. – Sorry, now i really got lost. Let me get back to my characters. It is easy to point a finger and to turn your characters into easy targets. The scary part is to let them live in your mind and to let them be themselves. They are your creation, they are your responsibility and in the end you have to get rid of them.

How does one think of a construction switching between various narrative tone (I, you, he)?

Someone has to stumble into the story and pack a good bag of hope. As I am writing I am trying things out. Changing the style, the perspective to see how it looks this way and that way. Sometimes you feel a character but you can’t put him into words. So you switch the narrative trying to get closer to the essence, closer to the reader too. That’s why i love to write in the second person. I turn the reader into the character. You can’t get closer to the reader.

Do you play music while working?

Music is an important element. Every book has an own soundtrack. Musik leads me, changes the course of action, makes me break down things I never wanted to break down. Silence is also very perfect inbetween. Here a link to my homepage and the bands, the singers and the sound. www.drvenkar.de/inspiration/#musik

According to Mexican novelist Martin Solares, we all have our dark moments. What do you think of this statement?

We are full of dark moments. I don’t need monsters or vampires or crazy mutations. I have the ensemble of humankind in front of me. You can’t get scarier. The darkness is a main part of our life. We move around it, we try to avoid it, try to stay in the light but the darkness is never far away and as soon as we let our guard down, there it is, knocking on the safe door of our brain begging to be let in.

Finally, who do you want to apologize to?

Mainly my dog Lucky. She was a small russian poodle and looked a little bit like Bob Marley on a bad hair day. I loved her but I didn’t took good care of her. Once I wanted to see what would happen if I sprayed some perfume on her nose. How do you explain to a dog that you are stupid and sorry? All my other excuses would go to some characters in my novels - sorry for all the bad things that I couldn’t avoid to write, sorry that I couldn’t save all your lives.


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