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Kurzbiographie
Zoran Drvenkar wurde 1967 in Kroatien geboren und zog als Dreijähriger mit seinen Eltern nach Berlin. Seit 1989 arbeitet er als freier Schriftsteller, 2002 legte er sich das Pseudonym von zwei kanadischen Schriftstellern zu (Victor Caspak & Yves Lanois) und lebt heute in der Nähe von Berlin in einer ehemaligen Kornmühle.
Eine kurzbiographische Geschichte
Alles begann in einem entfernten Land, das damals Jugoslawien hieß.
Ein Junge wurde im Morgengrauen geboren. Es war mitten im Sommer, der
19. Juli 1967 und der Schnee lag kniehoch in meiner Geburtsstadt. Für
ungefähr zehn Minuten. Dann wurde ich geboren und der Schnee verschwand,
als wäre er nie dagewesen. Niemand hat es verstanden. So wurde ich
zu einem Winterkind mitten im Sommer. Mein Name heißt übersetzt
der im Morgengrauen geborene.
Als ich drei war, beschlossen meine Eltern das Land zu verlassen. Sie
dachten, in Deutschland wäre alles besser. War es auch. Für
meine Schwester und mich. Wir gingen zur Schule, wir wuchsen auf und wohnten
in der Philippistraße, der unglaublichsten Straße Berlins.
Dort gab es alles. Wahnsinnige, die sich in Kellern versteckten und Fußballplätze,
die wie gewaltige Badewannen in die Erde eingelassen waren. Es gab Jungen,
die bis zum Dunkelwerden draußen blieben und Mädchen, die man
heimlich küssen durfte. Für meine Eltern war das nicht besonders,
aber wir Kinder explodierten beinahe vor Glück. Alles war toll und
laut und unheimlich und manchmal auch still und leise und traurig, aber
das machte nichts, denn wir wußten ja, daß es bald wieder
toll werden würde.
Als ich fünf war, geschah das nächste Wunder. Ich lernte lesen.
Mit neun war ich schrecklich verliebt. Mit dreizehn schrieb ich mein erstes
Gedicht und wußte, daß die Wunder ab jetzt Schlag auf Schlag
kommen würden. Kamen sie auch. Ich vermasselte die Schule, was ein
großes Wunder war, denn niemand stellte sich so dumm an wie ich.
7. und 10. Klasse hängengeblieben und Abitur vermasselt. Es gab nur
drei Dinge, die ich gut konnte. Bücher lesen, Musik hören und
Filme schauen. Schreiben lernte ich gerade, das konnte ich noch nicht
gut.
Dann kam das größte Wunder. Ich war 22 und hatte keine Idee,
wer ich eigentlich wirklich war, als mir Gregor begegnet ist. Gregor sagte,
"Wir tun unser Geld zusammen und du schreibst und wirst berühmt
und bis es so weit ist, fahr ich Taxi und hol Geld für uns rein,
was hältst du davon?" Ich hielt viel davon. Neun Jahre zogen
in das Land. Dann erschien mein erstes Buch und Gregor hörte auf
Taxi zu fahren. Wir waren die besten Freunde, wir sind es noch immer.
Schnee habe ich im Juli nie wiedergesehen, meine Eltern sind längst
Berlin weggezogen, auch ich lebe nicht mehr dort, aber das Leben ist noch
immer toll und manchmal auch still und traurig, aber dafür regnet
es fast jeden Tag kleine Wunder und ich stehe draußen und versuche
ein paar davon aufzufangen. So ist mein Leben. Und es begann in einem
entfernten Land, das damals Jugoslawien hieß.
Victor Caspak & Yves Lanois
Roman (Carlsen, 2004)
Victor Caspak & Yves Lanois
Roman (Bloomsbury, 2006)