Viele dieser Fragen wurden mir von Zeitschriften, Radiosendern, interessierten Leuten, Schülern und Studenten gestellt. Sie kamen per Mail, per Post und Telefon. Ohne diese Fragen, hätte ich mir nie die Arbeit gemacht, über die Antworten nachzudenken. Ich sage Danke fürs Fragen.

Wie und warum hast du mit dem Schreiben angefangen? Ich habe mit Gedichten angefangen. Gereimte, überpoetische Gedichte über die Liebe und den Weltschmerz. Ich war vierzehn Jahre alt und hatte das Gefühl, die Welt würde sich auf mich herabsenken wie ein nasser Vorhang. Nichts klappte, meine Hormone spielten verrückt, keiner verstand mich und die Mädchen sahen weg, wenn ich in ihre Nähe kam. Nach den Gedichten kamen Kurzgeschichten, dann die ersten Erzählungen. Ich versuchte im Schreiben mein Denken zu sammeln, spiegelte alles, was ich las, kopierte es und war auf der Suche nach einer Freundin und Leuten, die mich verstanden.

Als freier Schriftsteller arbeitest du ja bereits seit Anfang Zwanzig - hast du je einen anderen Beruf ausgeübt oder ausprobiert? Für mich gab es keine richtige Wahl, ich taumelte recht ziellos durch das Leben, mußte die 7. und 10. Klasse wiederholen und bin dann auch noch durch das Abitur gerasselt. Einen Plan, wie meine Zukunft aussehen sollte, hatte ich nie. Ich wußte nur, daß das Studieren nicht in Frage kam, denn Studieren war für mich eine Weiterführung der Schule, und die Schule habe ich gehaßt. Als ich dann mit 22 mein erstes Stipendium bekam, war ich plötzlich Schriftsteller. Ich stand etwas fassungslos da und konnte es nicht glauben. Es war das einzige, was ich wirklich liebte und konnte, es war das, wofür ich von einem Tag zum anderen anerkannt wurde. Es war und ist ein Traum.

Verstehst du kroatisch? Und woher kommt der Name? Soweit ich es weiß, heißt Drvenkar so viel wie der Zar der Hölzer. Mein Vater ist Kroate, meine Mutter Serbin, jetzt leben sie in Kroatien, doch der Kontakt ist nicht sehr intensiv und so habe ich mein serbokroatisch verlernt. Ich verstehe es zwar, kann aber nicht schnell reagieren, die Worte fehlen. Ich denke, wenn ich mal ein paar Wochen in meiner Geburtsstadt verbringe, wird es garantiert wiederkommen.

Ein Teil deiner Kindheit hast du in deinem ersten veröffentlichen Roman Niemand so stark wie wir und danch in den Büchern Im Regen stehen und Die Nacht, in der meine Schwester den Weihnachtsmann entführte beschrieben. Es sind Bücher voller Erinnerung und Mut für Jugendliche, würdest du das auch so sehen? Das Buch gibt den Jugendlichen zwar Mut, es zeigt ihnen aber auch die düsteren Seiten der Kindheit und Jugend - das Zerbrechen von Freundschaften, den Verrat von Liebe und das Mißtrauen, das man entwickelt und als Erwachsener nur schwer wieder abschütteln kann. Ich hatte nie vor über meine Kindheit zu schreiben, ich konnte mich nicht einmal richtig an sie erinnern. Als ich dann eine Erzählung anfing und über einen Urlaub in Serbien schrieb, gingen plötzlich Türen in meinem Kopf auf und die Vergangenheit rauschte aufs Papier herab und ließ zwei Bücher über meine Kindheit entstehen.

Es fällt nicht leicht ehrlich mit sich selbst zu sein; deine Helden versuchen es und das berührt die Leser. Gleichzeitig aber bekommen deine Charaktere oft eine kritische Distanz zu sich selbst. Wie blickt man mit Humor auf ernste Sachen zurück? Der Zoran in meinen Erinnerungen ist nicht der Zoran, der diese Erinnerungen aufschreibt. Ich blicke zurück und sitze im Kopf dieses Jungen und lebe seine Gedanken. Deswegen fällt es leichter, die schmerzenden und peinlichen Erlebnisse zu erzählen, denn ich bin mit Abschließen des Buches frei von diesem jungen Zoran. Wir sind noch immer gute Freunde, ich betrachte gerne seine Geschichten und er freut sich, daß ich immer wieder über ihn erzählen. In den letzten Jahren ist eine Spur Humor dazugekommen, das Tragische ist abgelegt und ich kann den Witz und die bittere Ironie der Vergangenheit betrachten, ohne das es im Kopf schmerzt.

Du bist in Berlin aufgewachsen zu einer Zeit als die meisten Migranten Jugoslawen und Türken waren. Das hat schon damals eine große Rolle im Geschehen und bei der Entwicklung der Stadt gespielt. Jetzt ist Berlin größer, mit neuen Einwanderern aus aller Welt. Wie wirkt sich das aus? Was merkst du heute auf deinen Wegen durch die Stadt? Was war anders in deiner Kindheit? Nach dem Fall der Mauer bin ich aus Berlin verschwunden, weil mir die Stadt zu voll wurde. Ich kam wieder, blieb für vier Jahre in Berlin und das war es dann gewesen. Mehr wollte ich von der Stadt nicht. Meine Kindheit war vorbei, ich vertrug das Chaos nicht mehr, das jede Großstadt als Hintergrundsmusik hat.
Das Feine an Berlin ist, daß sich die Stadt null dafür interessiert, wer man ist. Sie nimmt einen auf, sie läßt einen zwischen ihren Straßen und Häusern leben, ohne groß zu urteilen, wer man ist. Sie will keine Zärtlichkeiten und Versprechungen. Sie will, daß man einfach nur da ist. Und wenn man wieder geht, weint sie einem auch keine Träne nach.
Früher dachte ich, daß sich alles um mich und mein kleines Leben dreht. Heute dreht sich alles um sich selbst und ich trete gerne einen Schritt zurück und betrachte mich als Besucher und heimlicher Geliebter dieser Stadt.

Du hast im deutschsprachigen Raum als Kinder- und Jugendbuchautor viel Anerkennung erhalten: einige Auszeichnungen und Preise von Literaturkritikern als auch von verschiedenen Jugendjurys. Wie unterscheiden sich die Begründungen der professionellen Kritiker von der Begeisterung der Jugendlichen? Das ist eine schwere Frage. Da ich meine Bücher nicht für die Sparten Kinder- oder Jugendbuch schreibe, sagen mir auch Kommentare wie "Drvenkar weiß, was die Jugendlichen denken" rein gar nichts. Ich habe keine Ahnung von den Jugendlichen, ich kenne nicht einmal welche. Und auch Kinder sind mir fremd und werden mir erst vertraut, wenn ich in meinen Geschichten von ihnen erzählen. Ich finde es recht anbiedernd, sich hinzusetzen und mit Jugendlichen zu reden und ihr Leben, ihre Sprache, ihre Gedanken dann im Schreiben zu kopieren. Man muß das Jugendliche im Blut und im Schreiben haben, man muß sich für die jungen Charaktere in seinem Kopf interessieren. Wenn sie etwas zu sagen haben, sollte man darüber schreiben, wenn nicht, sollte man lieber den Mund halten. In den letzten Jahren habe ich lieber über Kinder und Jugendliche erzählt, weil ich sie durchgeknallter und witziger finde. Ich traue ihnen mehr zu als Erwachsenen, deswegen wurden sie bei mir für eine Weile zum Thema.

Wie siehst du die Einteilung in Kinder-, Jugend- und Erwachsenenliteratur?
Dumm. Einfach dumm und recht typisch für eine Welt, die ihre Ordnung haben muß. Als Kind las ich, was mir in die Finger kam. Heutzutage versuchen die Eltern auf alles den Finger zu legen und die Erfahrungen ihrer Kinder zu kontrollieren. Wenn sie könnten, würden sie ihre Kids mit einem Fahrradhelm ins Bett schicken. Zum Glück haben Kinder und Jugendliche einen eigenen Willen, sonst würde ich die Hoffnung auf eine gute Welt aufgeben.

Die Frage über solche Einteilungen stellt sich speziell bei deinen Jugendbüchern. Wer sind deine Leser? Haben sie Kontakt mit dir und was bedeuten dir diese Kontakte? Meine Leser finden sich bei den Kleinsten und gehen bis zu den Erwachsenen. Der Kontakt findet meist bei den Lesungen statt oder ich bekomme Mails und Briefe. Es ist immer wieder erstaunlich, wer alles schreibt, wer etwas zu sagen hat, was für Gedanken durch Geschichten angeregt werden. Ich hätte früher nie gedacht, daß ich durch meine einfachen Worte das Leben anderer Menschen berühren kann. Es ist ein Wunder, der reine Zauber. Oft führen Kommentare von Lesern dazu, daß ich meine Geschichten in einem anderen Licht sehe. Bei Lesungen stehe ich oft da und begreife, was ich da eigentlich getan habe. Ein Schriftsteller, der sich von seiner eigenen Arbeit überraschen läßt.
 
Es ist überraschend wie oft du sogar innerhalb eines einzelnen Romanes das Genre wechselst. Wenn Sag mir was du siehst erst wie ein spannender Thriller wirkt, so wird das Abenteuer im Laufe des Buches zu einen Erzählung über die Liebe - zärtlich, innig, hart, fremd, grausam...  Jedes Buch, das von dir verlegt wird, wird dichter und schneller, immer sehr spannend. Kann man fragen: Wohin gehst du damit? Gibt es Grenzen die du in der Literatur nicht überschreiten möchtest? Für mich liegt der Reiz sehr darin, alles auszuprobieren, was das Schreiben zu bieten hat. Mich auf ein Genre festzulegen, wäre ein wenig so, als würde ich mir eine Schlinge um den Hals legen und darauf warten, daß mich jemand aufknüpft. In meinem Kopf gibt sind Geschichten, die ihr eigenes Leben haben wollen. Ich weiß vorher oft nicht, was das für ein Leben ist und wohin es führt. So wie ich bei Sag mir, was du siehst auch nicht wußte, wohin mich diese Geschichte führen wollte. Grenzen sind etwas für Leute, die Angst haben zu weit zu gehen. Ich gehe gerne weiter, denn mir liegt die Gefahr und ich will wissen, was hinter der Grenze liegt. Ich will wissen, was der Tod verbirgt, was eine Liebe am Brennen hält und wie der Geschmack von Verrat ist. Ich will das Böse durchleuchten und es verstehen. Ich will eine Menge, und es gibt eine Menge, die man über das Schreiben herausfinden kann zu schreiben.

Wie recherchierst du für deine Bücher und wie viel Zeit verbringst du damit? In letzter Zeit arbeite ich mit einem sehr guten Freund zusammen, der die Recherchen bei einem historischen Roman übernimmt. Recherchen liegen mir gar nicht. Ich schreibe über das, was ich weiß. Ein wenig fürchte ich mich davor, daß man merkt, daß ich recherchiert habe, deswegen hielt ich mich da bedeckt. Als aber Gregor Tessnow und ich uns an die Arbeit zu Wenn die Kugel zur Sonne wird machten, war Feierabend mit Nichtrecherchieren. Ich stürzte mich in die Recherche und wäre darin beinahe ertrunken. Seitdem nehme ich Recherche ernster und mache sie auch gerne allein. Die Recherceh findet oft direkt bei der Arbeit statt. Heute ist ja alles mit dem Internet möglich.

Schnee, Eis und Kälte spielen immer wieder eine Rolle in deinen Büchern. Woher kommt das? Ich liebe die Kälte. Ich bin ein Winterkind und wurde im Morgengrauen aus dem Schnee heraus geboren. Es war der 19. Juli 1967 und der Schnee lag kniehhoch in meiner Geburtsstadt Krizevci, Kroatien. Für ungefähr zehn Minuten. Dann wurde ich geboren und der Schnee verschwand, als wäre er nie dagewesen. Niemand hat es verstanden.

Worüber redest du gerne? Über alles, nur nicht über Politik und Computer und Autos und Zahntechnik, das Wetter und Fernsehen und Stars und Handys und die große Frage, was man alles im Leben falsch gemacht hat (und wie sehr man es bereut).

Warum? Weil es nichts Langweiligeres gibt, als über Politik und Computer und Autos und Zahntechnik und das Wetter und Fernsehen und Stars und Handys und die große Frage, was man alles falsch gemacht hat (und wie sehr man es bereut), zu reden.

Als Autor, so heißt es in einem Porträt (1000+1Buch Nr.1/02), probierst du gerne alles aus und läßt dich nicht festlegen auf ein Genre oder eine bestimmte Altersgruppe. Und tatsächlich gibt es von dir erfolgreiche und prämierte Literatur für Kinder, für Jugendliche und seit kurzem auch einen Titel, Du bist zu schnell, der sich bei Klett Cotta vor allem an Erwachsene richtet. Außerdem hast du zahlreiche Gedichte (Was geht, wenn du bleibst) und Kurzgeschichten und auch zwei Theaterstücke geschrieben. Welche Erfahrungen hast du im Schreiben für so unterschiedliche Zielgruppen und im kreativen Prozess so unterschiedlicher Genres gemacht? Die Macke, alles auszuprobieren und sich nicht festnageln zu lassen, muß ich schon seit meiner Kindheit haben. Sie hat damals schon dazu geführt, daß ich jedes Phantasieland betreten konnte. Und was früher Spiel war, wurde zum Beruf und zum größten Teil auch zur Lebensphilosophie. Es geht ja nicht darum, sich hinzustellen und einen Markt zu bedienen. Da könnte ich auch Blumen verkaufen und mir den Hals wund schreien. Es geht eher darum zu schauen, was für Geschichten in einem lauern, was für Charaktere es zu entdecken gibt und wer von denen eine Stimme hat. Wenn du dich beim Schreiben auf alte und junge Erzählperspektiven einläßt, kommst du dir selbst in Etappen näher - in den jungen Charaktern entdeckst du die Vergangenheit und bewegst dich auf die Gegenwart zu und bist nervös, was sie dir bringt; in den älteren Charakteren entdeckst du die Gegenwart, fragst dich, wie du da hinkommst, wer du bist und was dich zu einem Teil der Zukunft macht. Das sind so ungefähr die tragischen Nebenwirkungen, die ich durchmache, weil ich mache, was ich mache.

Über deine Sprache hast du wiederholt gesagt, dass du sie nicht bewusst einer Form von Jugendsprache annähern willst, sondern einfach eine eigene Sprache nutzt. Wenn du nicht eine spezifische Sprache für Kinder, Jugendliche oder Erwachsene entwickelst, paßt du dich im Aufbau deiner Geschichten einer Zielgruppe an? D.h. vereinfachst du bewusst das Geschehen für Kinder und wird es komplexer mit dem Alter deiner Leser? Da ich keine Zielgruppen sehe, fällt mir das nicht anpassen leicht. Ich sehe meine Charaktere und lasse sie ihre Sprache sprechen. Das hat schon Ärger gebracht, weil ein, zwei Verlage fanden, das wäre für die Altersgruppe zu anspruchsvoll usw. Ich wünschte, ich könnte das, ganz auf klein schreiben, das man mich zu den Teletubbies einlädt, das wäre was. Aber ein magischer Virus in meinem Blut hält mich davon ab, gewaltigen Blödsinn anzustellen und dafür bin ich recht dankbar.

In deinen Büchern verweist du immer wieder auf Schriftsteller (u.a. amerikanische Gegenwartsautoren, phantastische Literatur), Filme und auch Musik. „Ich sehe Filme, lese Bücher und höre Musik. Wenn du das so intensiv machst, muss es irgendwann raus.„ sagtest du im Interview mit Ada Jeske (Eselsohr 3/02). Liegt hier der Grund für deine ausgeprägte dialogische Gestaltung, die vielen kurzen Schnitte, Vor- und Rückblende und ruhigem Verweilen in reflexiven Einstellungen in deiner Erzählweise? Würdest du deinen Erzählduktus als filmisch bezeichnen? Ja und moch einmal ja. Es ist der Reiz, eine eigene Mischung zu erfinden, sich durch die Bereiche Musik, Literatur und Film zu bewegen, als wären sie ein grandioser See und ich schwimm mal hierlang, mal dalang und wenn ich rauskomme, kann ich genau beschreiben, wie es war, in diesem See geschwommen zu sein. Man hört den Soundtrack, sieht die Szenen und versteht die Gefühle der Charaktere mit wenigen Sätzen. Die perfekte Melange.

Warum ist es bloß in vielen deiner Bücher so unglaublich klirrend kalt? (Ist das intellektuell zu deuten, gesellschaftskritisch oder sind Sie einfach ein Winterfan?) Das Intelektuelle kann ich mir bis zum hohen Altern abschminken, das kommt erst, wenn ich alt und weise im Sessel sitze und jeden Satz achtzig Mal destilliere. Dafür kommt das Schreiben einfach zu sehr aus dem Bauch und rauscht durchs Herz zum Kopf, wo es nur für kurze Zeit Pause machen darf. Auch gesellschaftskritisch klappt nicht, das habe ich schon mit 20 getan, da war ich der knallharte, sozialkritische Zoran, der von nichts einen Schimmer hatte, aber sich über alles aufregen konnte. Nein, es ist ganz simpel. Ich bin ein Winterkind. Ich liebe den Herbst, ich hungere nach dem Winter. Der eine kommt zu kurz, der andere bringt zu wenig Schnee. Die Welt ist aus der Balance, wir Schriftsteller rücken sie gerade.

Über Kinder und Jugendliche äußerst du dich fast romantisch: „Die sind risikobereit, unberechenbar, witzig. Und ich traue Ihnen alles zu: Von tiefster Melancholie bis zum totalen Wahnsinn.„ (Eselsohr 3/02). Hast du ein ähnlich positives Bild auch von Erwachsenen? Wenn nicht: wann kommt es deiner Meinung nach zum Bruch? Das Brechen beginnt mit der Schule und geht fließend weiter, weil wir anfangen nicht mehr miteinander sondern gegeneinander zu kämpfen. Das Spiel ist Krieg, wer verliert, steigt ab, wer sich nicht absichert, wird nie alt, wer nie alt wird, endet auf der Straße, wer auf der Straße endet, kommt nie in den Himmel. Mein Bild von Erwachsenen ist dementsprechend getrübt, was nicht heißt, es gibt keine Ausnahmen. Am liebsten gebe ich mich mit den Ausnahmen ab. Ich bin auf jeden Fall froh erwachsen zu sein, und ich bin auch froh noch solch ein einfaches Kind bleiben zu dürfen.

In vielen deiner Bücher erschüttert etwas Außerordentliches deine kleinen, jugendlichen und nun auch erwachsenen Protagonisten. Sie machen im Folgenden häufig ganz eigene Erfahrungen, entwickeln eine spezifische Form der Wahrnehmung, die auch isoliert und durchaus tragische Elemente trägt. Ist es der Zwang des Individuums, in unserer Gesellschaft seinen ureigenen Weg zu gehen, der deine Helden in diese ungewöhnlichen Abenteuer treibt? Es ist eher der Zwang des Schriftstellers seine Charaktere auf den Rand zuzutreiben, um sie reagieren zu sehen. Grenzsituationen sind es, die uns auf den Zehenspitzen halten. Ich will wissen, was geschieht, wenn das geschieht, was nie geschehe sollte. Ich plane diese Erfahrungen nicht ein und reibe mir die Hände und denke Hehe, jetzt gebe ich es dem kleinen Scheißer. Ich schreibe und habe da irgendwann eine Situation, die sich mir nähert wie eine dunkle Wolke, die ich nur aus den Augenwinkeln sehen kann. Und lange, bevor ich sie im Fokus habe, steht sie auf dem Monitor und ich frage mich, was ich da schon wieder getan habe. Oft sind solche Situationen Spiegelungen der Charaktere, sie führen sie selbst hervor. Das weiß ich aber oft erst, wenn die Geschichte zuende ist und alle mir auf die Schulter klopfen, weil ich so clever war es einzubauen.

Du schreibst Bücher für Kinder und Jugendliche und Erwachsene. Woher beziehst du deine Ideen? Um ehrlich zu sein, schreibe ich für niemanden. Mein Schreiben hat nichts mit einem bestimmten Publikum zu tun. Ich lasse meinen Charakteren freien Lauf und versuche sie nicht in eine Sparte zu stopfen. Natürlich tendiert ein Buch mehr zum Kinderbuch, wenn der Charakter acht Jahre alt ist. Aber das ist eben nur die Richtung, die die Geschichte nimmt. Die Ideen kommen dabei von überallher und haben viel mit meinem Leben und den Menschen um mich herum zu tun. Dazu kommt die Inspiration durch Bücher, Filme und Musik. Und dazu kommt auch der Wunsch aus all dem, was ich erlebe und aufnehme etwas Neues zu schaffen. Meine Arbeit ist auf ihre eigene Art und Weise auch eine Hommage an die Autoren, die ich gerne lese und deren Werke ich verarbeite und zu einem neuen Ganzen zusammenfüge. Was zu einer Geschichte führt sind meist kleine Szenen. Es sind Momentaufnahmen, die für fünf Seiten reichen und dann eröffnet sich die Frage, mache ich ein Buch daraus oder nicht.

Wie gehst du an dein Vorhaben zu schreiben heran? Ich schreib und schreibe und schreibe, dann hänge ich fest, kämpfe mich aus der Sackgasse, lasse meine Freunde lesen, schreibe weiter, beende das Buch, bin sehr nervös und korrigiere und baue an der Geschichte, bis sie einen Guß hat und dann lasse ich das Buch liegen und korrigiere es wieder und wieder, bis ich es nicht mehr sehen kann, und dann ist es fertig

Wie setzt du die einzelnen Ideen und Elemente zusammen? Oft ist es ein Puzzlespiel und zwar ein sehr chaotisches, da ich aus dem Bauch schreibe und dann im Nachhinein für Ordnung sorge. Zum Schluß hin bin ich immer gnadenlos erleichtert, wenn der Leser das Gefühl hat, alles stimmt, alles wirkt wie von leichter Hand. Die Arbeit dahinter darf man nicht sehen. Niemand will in die Küche schauen, nachdem ein Festmahl zubereitet wurde. Niemand will nach einem guten Essen abwaschen.

Wie viel ist schon vorhanden - wieviel entsteht während des Schreibens? Am Anfang ist nur eine Idee da, dann entsteht der Rest Schritt für Schritt und beim Entstehen mache ich dann Pläne und verbinde die Szene und verusche alles als ein Gemeinsames zu sehen. Die Spontanität macht aber den Hauptteil aus, was für Spannung sorgt und den Autor gehörig schafft, auch wenn er viel Spaß daran hat, deswegen beschwert er sich nicht.

Woher holst du dir die Modelle mit dieser passenden Sprache? Woher kommen der geeignete Musikgeschmack oder die Mode deiner ProtagonistInnen? All das bin ich größtenteils. Bücher werden zum Fenster in die Welt das Autors. Kleine Fenster zwar mit geheimen Nischen, aber dennoch Fenster. Meine Musik, mein Geschmack, meine Charaktere. Meine eigene kleine Welt.

Aus welcher Absicht heraus schreibst du einen Roman, ein Gedicht oder eine Geschichte? Irgendwas kocht in mir, irgendwas will raus und da ist eine Idee, die als Ventil dient. Das Leben beschäftigt mich, Mensch, Verwicklungen, Tragik. Ich erforsche im Namen meiner Charaktere ihr Schicksal und sehe, was möglich ist, und treffe auf Grenzen, erlebe Abtenteuer und versuche herauszufinden, wer sie sind, was sie wollen. Gedichte sind Momentaufnahmen, die heruntergeschnitzt werden auf den Grundkern. Romane sind lange Reisen und Kurzgeschichten ein Seitenblick, während man sich auf der Straße befindet und dann ist da ein Haus und in dem Haus ist Licht und da sitzt eine Frau und streichelt eine Katze, die auf dem Tisch steht und Milch aus einer Teetasse trinkt. Man fährt zwar weiter, aber der Kopf bleibt bei diesem Bild und besucht die Frau in ihrem Haus und schaut der Katze in die Augen.

Gibt es Situationen oder Augenblicke, wo man verunsichert wird und der Schreibfluss ins Stocken gerät? Wenn ja, kannst du eine derartige Situation kurz anreißen? Unsicherheiten sind immer da. Ich bin bei jedem neuen Buch unsicher und brauche das Okay von meinen Leuten, damit ich weiß, daß ich auf der richtigen Fährte bin. Zwar würde man nach so vielen Büchern mehr Professionalität erwarten, aber dem ist nicht so. Und ich bin recht froh darüber, denn sonst würde die Spannung verschwinden und eine Überheblichkeit einsetzen. Sackgassen sind sehr wichtig, denn sie pressen und komprimieren die Geschichte, man hängt fest, weiß nicht weiter und MUSS einen Weg finden. Auch wenn ich sie nicht mag, ginge es ohne sie nicht. Oft kann es Tage dauern, aber sobald man den nächsten Schritt gefunden hat, ist man sich sicher, daß der Schritt etwas Besonderes ist, denn man hat ihn so lange gesucht, daß es dem Leser die Schuhe ausziehen wird. Und falls ich keine Lust mehr zum Schreiben habe oder an der Sackgasse nicht vorbeikomme, dann mache ich eine Pause und lese tagelang und sehe Filme. Aber das hält nie lange an, denn die Story rumort im Kopf und will weitergeführt werden. Kurz gesagt, sich Stress zu machen ist ein Fehler, den Rhythmus finden, darum geht es.

Gibt es eine von dir geschaffene Lieblingsfigur? Wenn ja, welche - und warum? Alle. Ich liebe sie wirklich alle. Die Guten und die Bösen. Ohne Ausnahme.

Welche Figur hat dir am meisten Kopfzerbrechen bereitet? Und warum? Die Mitglieder der Kurzhosengang waren recht schwierig, weil ich sie ja in einem zweiten Teil wiederbelebt habe und natürlich die Charaktere genau so wieder vor mir sehen wollte wie im Vorgänger. Was letztendlich Quatsch war. Meine Erinnerung an sie ist wichtig und nicht die einzelnen Details. Da habe ich lange dran geknabbert.

Welche Trends der Gegenwart scheinen dir signifikant? Ich kenne keine Trends, und was sich so als Trend immer darstellt, naja, oft kriege ich es nicht mit und bin uninteressiert. Mir ist in den letzten Jahrne aufgefallen, daß der gute Geschmack mehr und mehr siegt. Die Leute kehren zu den Wurzeln zurück, das heißt bessere Musik und bessere Filme entstehen. Aber das kann auch daran liegen, daß ich all das aus einem anderen Blickwinkel mitbekommen und andere denken, war doch schon immer so. Kompliziertes Thema, das hier den Rahmen sprengt.

Die heutigen 15-jährigen sind die 1.Generation, die in der Mehrzahl mit TV- und Videogeräten, mit einem Zugang zu 30 Fernsehkanälen und mit einem Computer groß geworden sind. Wie werden deiner Meinung nach Kinder oder Jugendliche zu LeserInnen? Da gibt es keinen Weg. Einige sind Leser, andere sind es nicht. Auf jeden Fall sollte ein Kind immer den Zugang zu Büchern haben, was es daraus macht, ist seine Sache. Aufdrängen bringt nichts. Und wenn jemand als Kind pausenlos liest und als Erwachsener nicht, C'est la vie. Da mache ich mir keinen Kopf. Gelesen wird immer und der arme Neil Postman hat mit seiner düsteren Vision voll danebengegriffen. Wahrscheinlich kann man die E-Books als den größten Reinfall der letzten 50 Jahre bezeichnen.
Von mir wollte keiner, daß ich lese. Ich fing mit fünf Jahren an und konnte nicht mehr aufhören. Mir war es egal, was ich zu lesen bekam. Ich brauchte das geschriebene Wort, um den Schlüssel zu den inneren Welten zu drehen und einzutreten.

Welche Themen besprichst du z. B. nach Lesungen mit Jugendlichen am häufigsten? Mein Leben. Das Schreiben. Bücher, Musik, Filme. Die Geschichte, um die es ging. Was geplant ist.

Gibt es für dich besimmte Kriterien oder Ansprüche, die du gerne in deinen Büchern verpackt wissen möchtest? Wenn ja, welche? Der Anspruch ist, etwas Neues auszuprobieren. Der Anspruch ist, mein Bestes zu geben. Der Anspruch ist, mit jedem Buch einen Schritt weiterzugehen. Und hinter allem steckt die Hoffnung, es zu packen und keinen Mist zu verzapfen.

Wie stellst du es an, den Kindern oder Jugendlichen eine Botschaft zu vermitteln? Oder ist das überhaupt keine Intention für dich? Keine Intentionen. Die Botschaften oder wie auch immer man den Inhalt dann nennt, erkenne ich oft erst im Nachhinein. Plötzlich wird aus einem mysthischen Buch ein Buch, daß von Freundschaft handelt. Plötzlich hat eine witzige Geschichte einen dunklen Unterton und den Tod zum Thema. Es kommt alles aus dem Bauch. Manchmal wünsche ich mir, ich wüßte, was ich da tue. Ich würde sehr clever herüberkommen. So hoffe ich, daß der Leser kapiert, was ich wollte. Und so hoffe ich, daß ich es auch eines Tages kapiere. Es geht viel um Freundschaft, Liebe, Tod und Vertrauen. Nicht in der Reihenfolge, sondern gut vermischt.

Wie bist du zum Autor geworden? Durch die Liebe zum Lesen und weil mir Bücher auf eine Art und Weise das Leben gerettet haben. Ich denke, man wird nicht zum Autor, man macht sich selbst dazu. Durch Sturheit, eine Prise Wahnsinn und auch eine dicke Portion Selbstüberschätzung muß sein. Natürlich gehört reine Begeisterung dazu, Begeisterung für Geschichten und das Leben überhaupt.

Was empfiehlst du jungen Autoren oder Autoren in spe? Jemand der schreibt sollte sich entscheiden, ob er schreibt oder nur so tut, als ob er schreibt. Diese Entscheidung ist sehr wichtig. Jemand der schreibt sollte den Wunsch haben etwas Neues zu schaffen, Türen aufzutreten und auch ein paar Feuerwerke loszulassen. Und jemand der schreibt sollte sich dessen bewußt sein, daß er sich mit dem Schreiben für die unausweichliche Konfrontation mit sich selbst entscheidet. Was kein wirklicher Spaß ist.

Kindliches Denken und Fühlen, wie fühlst du dich rein? Ich bin dieses Jahr 39 geworden und kann mich in kindliches Fühlen und Denken so gut einfühlen wie in einem buddhistischen Mönch, der sich früh am Morgen seinen Tee macht. Meine Charaktere übernehmen diesen Job für mich, so wie ich beim Schreiben dieser buddhistische Mönch werden kann, der seinen Tee genießt, kann ich meine Charaktere auf die Reise schicken und schauen, ob es ihnen gelingt sich mit elf Jahren aus einem Eisloch zu befreien. Es ist immer nur eine Frage der Reise - wohin will ich, was will ich da und wer will ich sein. Sollten meinen Charakteren diese Gabe der Wandlung jemals abhanden kommen, lasse ich das Schreiben sein.

Was entscheidet über die Themen? Die Charaktere gebe die Richtung an. Ich schaue am Anfang, wie sie sich mit dem Szenario zufrieden geben und lasse ihnen freien Lauf. Themen können dabei von überallher kommen. Vieles hat mit meinem Leben und dem Leben der Leute zu tun, die um mich herum sind. Einfluß von Außen wird fast unbewußt eingebaut. Erst zum Schluß hin kann ich behaupten, daß ich weiß, was das Thema ist. Aber auch dann bluffe ich ein wenig, denn ich schaue mir nicht gerne selbst in die Karten.

Braucht man als Autor auch einen Brotberuf? Kommt auf die Zähigkeit an. Kommt auf den Autor an. Kommt auf das liebe Geld an. Kommt drauf an.

 

Ein Lieblingsbuch? Das Buch des letzten Jahres war für mich Extrem laut und unglaublich nah von Jonathan Safran Foer. Dieses Jahr sind es bisher Kopf an Kopf The Dead Fathers Club von Matt Haig und After Dachau von Daniel Quinn.

Ein Lebensmotto? Leg dich erst nieder, wenn du wirklich müde bist, zeig die restliche Zeit über, wie wach du bist. (uralter chinesischer Spruch, frei übersetzt)

 

Interview mit dem GRIPS-THEATER: Wir haben dich bei einer Lesung aus deinem Roman CENGIZ & LOCKE kennengelernt. Warst Du sehr überrascht, als wir dich damals gefragt haben, ob Du dir vorstellen könntest, aus deinem Roman ein Theaterstück zu machen, oder hattest Du schon früher etwas für die Bühne geschrieben? Ich hatte zwar zwei Stücke für die Bühne geschrieben, aber nicht im Traum daran gedacht, daß Cengiz & Locke sich dafür eignen. Es gab so gesehen noch keine Adaption eines Romanes oder einer Geschichte. Als ihr dann angefragt habt, dachte ich, Na, das wird ja was werden. Und es ist was geworden.

Der Roman ist über 300 Seiten stark. Das Stück kommt gerade mal auf 56 Seiten. Ich selbst habe nicht den Eindruck, daß Du für das Stück wesentliche Handlungsstränge oder Figuren gestrichen hast, gleichzeitig habe ich mich beim Lesen des Romans alles andere als gelangweilt. Wie ist das möglich? Es ist die reine Komprimierung. Am Anfang war ich recht verzweifelt, denn es war schnell klar, daß das nicht geht. Niemals kriege ich die Tiefe des Buches in die Form eines Theaterstückes gepreßt. Dann hatte mein guter Freund Micha die Idee, einfach mal die wichtigsten Szenen aufzuschreiben und auf das Skelett zu reduzieren. Es war eine brilliante Idee. Zum Schluß saßen wir da und hatten elf Szenen, die alles beinhalteten. Daß die erste Fassung dann knappe hundert Seiten lang war, machte uns das stolz. Als ich dann hörte, daß sechzig Seiten schon zu viel sind, habe ich schon nicht mehr so stolz in die Gegend gegrinst. Kürzen ist ein Spaß, wenn man weiß, wo es hinführen soll.
Ich denke, die Spannung ist in dem Stück noch intensiver als in dem Roman, weil die Essenz geblieben ist. Sie ist auf das prägnanteste Runterdistilliert und trifft den Zuschauer wie ein Faustschlag. So soll es sein.

Als Romanautor hast Du eine große Macht über deine Figuren, Du bist derjenige, der entscheidet, wie sie aussehen und was sie tun. Als Autor eines Theaterstückes schreibst Du lediglich Dialoge, das heißt, Du kannst nur noch darüber bestimmen, was deine Figuren SAGEN, und nicht mehr oder nur indirekt über das, was sie später auf der Bühne TUN. Ist es dir beim Schreiben des Stückes CENGIZ & LOCKE sehr schwer gefallen, die Figuren aus dem Roman loszulassen und ihr weiteres Bühnenschicksal in die Hände des Regisseurs und der Schauspieler zu legen? Nein, das fiel gar nicht schwer, weil es mich kein bißchen gekümmert hat. Ich bin kein großer Theatergänger, ich bin eher der Mann für Filme und ging davon aus, daß ich alles schreibe, was ich für wichtig finde und das Überflüssige kann dann der Regisseur streichen. Da ich Frank vorher kennengelernt und zwei seiner Stücke gesehen hatte, war ich mir sicher, er macht sein eigenes Ding daraus. Denn so sehe ich das - ich gebe meine Arbeit aus der Hand und da ist es egal, ob es ein Drehbuch oder ein Theaterstück ist. Sobald ich es weggeben habe, ist es Sache des Regisseurs, was er damit macht. Natürlich kann er es in den Sand setzen, und natürlich werde ich mich dann fürchterlich rächen. Nee, ich bin ein netter Kerl und ich verlaß mich auf mein Gefühl.

Die Jungs, über die Du schreibst, haben es nicht gerade leicht im Leben: Sie haben es zu tun mit Drogen, Schlägereien und Diebstählen, manche von ihnen tragen sogar Waffen. Was hat es für einen Sinn, über so viel Ausweglosigkeit zu schreiben und wie reagieren die Jugendlichen bei deinen Lesungen darauf? Es geht hier nicht um Ausweglosigkeit. Es geht hier nicht um die Realität. Es geht nicht darum, ein pädagogisch wertvolles Werk abzuliefern. Es geht um Charaktere, die mir am Herzen liegen. Sie bauen Mist, sie lernen Freundschaft kennen, sie versuchen ihre Fehler wieder gutzumachen und stellen sich nicht gerade sehr geschickt an. Natürlich werden sie auch mit einem Teil der Realität konfrontiert. Ich bin ja keine Astrid Lindgren der Straßen. Ich schreibe, was ich sehe und ich erfinde, was ich für echt halte. Ich versuche dabei nahe an meinen Charakteren dran zu sein und zu schauen, wie sie reagieren. Ein Autor vertraut da sehr seinen Instinkten. Bei mir ist es nicht so, daß ich dasitze und mir denke, Jetzt laß ich mal Cengiz & Locke gegen eine Wand laufen. Die Charaktere haben ein Eigenleben, ich bin als Schriftsteller ein Beobachter, der ihre Wege betrachtet und dokumentiert. Und natürlich ist es für mich reizvoll, den Konflikt aufzuspüren und zu schauen, wie weit meine Charaktere gehen. Und natürlich tut es mir oft selbst weh, was ihnen geschieht.
Auch wenn Drogen, Schlägereien und Diebstähle vorkommen, sind sie nicht das Thema. Das Thema ist Freundschaft und der Glaube an sich. Damit meine ich nichts Religiöses, ich meine diese Selbstzweifel, die alle Jugendlichen plagen; ich meine, die Art und Weise, wie ihnen schon in der Schule Angst vor der Zukunft gemacht wird. Dieser fehlende Glaube an sich selbst ist immer wieder Thema bei mir. Es sind keine Mutmachgeschichte, sie sind aber auch ganz weit entfernt von destruktiven Visionen. Für mich leuchtet immer die Hoffnung im Hintergrund. Dabei bediene ich mich beim Schreiben keiner plakativen Härte, sondern einer Härte, die ich in unserer Zeit beobachte. Und manchmal tut es eben richtig weh. Auch mir als Autor, aber das bin ich meinen Charakteren schuldig, wegschauen geht nicht.
Die Jugendlichen reagieren teilweise erschrocken, denn natürlich gebe ich ihnen bei den Lesungen Action und Härte. Ich gebe ihnen auch ein wenig von den sanften Stellen, damit sie sehen, daß das Buch nicht nur aus Dunkelheit besteht. Die Reaktionen sind unterschiedlich. Es gibt 10. Klassen, die danach kaum reden könnnen; es gibt 8. Klassen, die mich mit Fragen bombadieren und das Buch sofort lesen. Es kommt immer darauf an, welchen Nerv man trifft. Es kommt immer auf die Verfassung der Jugendlichen an. Mir ist wichtig, daß die Jugendlichen sehen, um wen es wirklich geht. Es geht nicht um sie. Jugendliche sind mir fremd, ich bin 38, ich will und kann nicht einen auf Teenager machen. Es geht um Charaktere, die sein könnten. Hier dokumentiert kein Schriftsteller anbiedernd die Gegenwart der Jugendlichen. Hier ist jemand, der eine Geschichte erzählen will, in der die Charaktere jung sind und sich mit dem Leben herumschlagen. Die Zeit ist egal, die Konflikte müssen für jeden greifbar sein, sonst sind sie Trend und Trends kann man sich meiner Meinung nach an die Backe schmieren.
Das größte Ereignis mit Cengiz & Locke war eine 9. Hauptschulklasse. Dreißig Schüler und Schülerinnen und eine Lehrerin, die Anfang fünfzig war und meinte, sie hätte das Buch erst weglegen wollen, dann hat es bei ihr geklickt und sie hat es ihrer Klasse vorgeschlagen. Niemand von den Schülern hatte bis dahin ein Buch durchgelesen, aber alle haben sie dann diesen Schinken durchgearbeitet und mich dann eingeladen. Ich war der Lehrerin sehr dankbar. Sie hat ein kleines Wunder vollbracht und mein Buch war das Werkzeug. Was will man mehr als Schriftsteller? Hier und da kleine Wunder, besser geht es nicht.

Interview zu SAG MIR, WAS DU SIEHST: Die Figuren des Romans scheinen trotz der Multiperspektivik klar und eindeutig gezeichnet. Welche Intention steht da dahinter? Welche Wichtigkeit hat die Multiperspektivik für dich? Welche Wirkung soll damit erzielt werden? Der Wechsel der Perspektiven entstand rein zufällig, als ich an die Stelle kam, an der Alissa und Evelin auf dem Friedhof stehen. Ich wußte nicht genau, wo mich diese Geschichte hinführt, ich wußte nur, daß Alissa in der Gruft landen würde. Als dann der Moment kam, in dem Alissa mit der Taschenlampe in den Himmel leuchtet, dachte ich, He, jetzt die Perspektive wechseln, das wäre doch was. Daraus ergab sich ein ganz neuer Blickwinkel auf die Geschichte und das Thema entwickelte sich. Wer was sieht, wem wir glauben; was ist wirklich, was ist unmöglich.
Um die Frage nach der Intentione zu beantworten - da steckt keine Intention dahinter. Sicher gibt es eine Menge Autoren, die alles mit einer tiefen Intention machen. Zumindest versucht uns das der Schulunterricht beizubringen. Und sagen wir mal, es gibt auch einige Schriftsteller, die genau so arbeiten. Es gibt aber auch genug Schriftsteller, die aus dem Bauch heraus schreiben, denn daher kommt die Spannung, damit erwischt man den Leser und sich selbst als Schriftsteller auch. Um ein Buch zu schreiben, sollte jeder Charakter klar und eindeutig gezeichnet sein, das ist man als Schriftsteller seinen Charakteren gegenüber schuldig. Und dem Leser auch, sonst pfeffert er das Buch in die Ecke und liest etwas anderes. Der Wechsel der Perspektiven hat auch etwas sehr Filmisches, was ich mag und seitdem gerne benutze. Von einem Winkel zum anderne zu gehen gibt dem Buch Tiefe und läßt viele Möglichkeiten offen.

Besonders auffällig ist die Namensgebung und die Parallelität bestimmter Anfangsbuchstaben (Alissa – Aren; Evelin – Elias; Sarah – Simon) Gibt es einen Zusammenhang zwischen Namensgebung und Figurenkonstellation? Nein, sorry, das ist reiner Zufall. Namen werden bei mir nicht nach symbolschangeren Regeln festgelegt. Sicher ist es nett, solche Kleinigkeiten im Text zu verstecken, aber leider stecke ich viel zu sehr in der Geschichte, um mir Spielereien zu erlauben. Namen kommen oft aus dem Nichts und werden immer wieder überprüft und manchmal sogar nach der Fertigstellung verworfen, weil man merkt, das ist nicht der Charakter.

Im Roman spielt das Motiv der Kälte eine zentrale Rolle. Was reizt dich an diesem Motiv? Ich liebe die Kälte. Ich liebe den Herbst, ich hungere nach dem Winter. Der eine kommt zu kurz, der andere bringt zu wenig Schnee. Da die Welt aus der Balance ist, rücken wir Schriftsteller sie gerade. Ich bin ein wahres Winterkind und wurde im Morgengrauen aus dem Schnee heraus geboren. Es war der 19. Juli 1967 und der Schnee lag kniehhoch in meiner Geburtsstadt Krizevci, Kroatien. Für ungefähr zehn Minuten. Dann wurde ich geboren und der Schnee verschwand, als wäre er nie dagewesen. Niemand hat es verstanden.

In einem anderen Interview sprichst du davon, dass der Roman ursprünglich keine Fortsetzung von "Der Winter der Kinder" werden sollte. Schreiben deine Charaktere ihre eigenen Geschichten? Eindeutig. Sie übernehmen den Kurs, sie lenken und streiten und sind mir oft so nahe, daß es schmerzt. Als ich anfing Sag mir, was du siehst zu schreiben, war der Hauptcharakter ein Junge. Mittendrin vertippte ich mich und schrieb Alissas nahmen. Da ich jemand bin, der auf Zeichen achtet und den Kopf ungern in den Sand steckt, saß ich eine Weile erschlagen da und fragte mich, was ich mir mit meinem eigenen Schreiben sagen wollte. "Der Winter der Kinder" war für mich vollkommen abgeschlossen. Nach einem Tag faßte ich den Entschluß und schrieb das erste Viertel des neuen Buches um. Alissa wurde wieder zum Leben erweckt. Es war ein guter Schritt.

Im Vergleich zu "Der Winter der Kinder" wird hier eine phantastische Ebene eingezogen. Warum?Auch beim Winter der Kinder gab es eine phantastische Ebene, versteckt zwar, aber das Auftauchen der Gestalten in Alissas Traum war für mich eine sehr phantastische Ebene, die sich mit der realen mischte. Außerdem stehe ich sehr darauf, wenn der Leser nicht weiß, wo die Grenze ist.

Welches der nicht-realistischen Wahrnehmungsphänomene im Roman würdest du dir in der Realität wünschen? Wow, ihr habt ja eine ganz eigene Art Fragen zu formulieren. Ich würde gerne die Grenze sehen. Ich glaube an Geister, ich glaube daran, daß alles nicht so simpel sein kann, wie wir es sehen. Wahrscheinlich entspringt es dem Wunsch nach einer Tiefe. Eiegen Erfahrungen haben mir beigebracht, daß alles nicht so simpel und klar ist. Und manchmal gelingt es mir eben - durchs Schreiben oder Leben - über diesen Rand hinwegzuschauen, für eine Weile die andere Welt zu betreten. Dafür lohnt sich all das Schreiben und Hoffen.

Was gab den Erzählanlass für dieses Buch? Was bedeutet es für dich heute? Welche Bedeutung hat es für doch im Kontext deines Gesamtwerks? Ich weiß im Voraus oft nie, was ich sagen will. Ich stürze in die Geschichte, reise von einem Ort zum anderen und lasse die Dinge geschehen. Im nachhinein kann ich zurückschauen und clever behaupten, das und das wollte ich so und so haben weil. Wenn ich auf Sag mir, was du siehst zurückschaue, sehe ich eine logische Forsetzung zu Der Winter der Kinder. Die Geschichte war nicht abgeschlossen. Über die Bedeutung im Kontext meines Gesamtwerkes denke ich nicht nach. Fragt mal so in fünfzig Jahren an, wenn ich gelangweilt herumsitze und auf mein Leben zurückschauen muß, weil es sonst nichts besseres zu tun gibt. Bis dahin ist noch ein wenig und ich denke lieber über andere Sachen nach.

 

Welches Genre würdest du dem Buch zuordnen? Dem düsteren Genre. Eine Spur Thriller, eine Spur Romantik, eine Spur Fantasy und ein Schnitzer Horror. Dem Genre eben.

Fragen, die Gregor und mir gestellt worden. Unter dem Motto, "Was wir schon immer über Gregor Tessnow und Zoran Drvenkar wissen wollten".

Was tut ihr einander Gutes?

Z: Wir glauben voll und ganz aneinander und das ist wahrscheinlich das Beste, was es über uns zu sagen gibt. Wir zweifeln nicht. Er ist da, wenn ich ihn brauche, ich bin da, wenn er mich braucht. So ist es.

G: Wir sind füreinander da. Immer.

 

Wie manifestiert sich eure Freundschaft?

Z:
Durch die kleinen Dinge, die zu großen Dingen werden. Ich denke, wir haben nie darüber nachgedacht, was aus unserer Freundschaft werden könnte. Es wurde einfach und wir sind in unserer Naivität und unserem Glauben an das Gute zusammengewachsen.

G:
Wir sind füreinander da. Immer.

Was liebt ihr aneinander?

Z:
Gregors Unberechenbarkeit - daß er oft so tickt wie ich - daß er nie so tickt wie ich - daß er manchmal gar nicht tickt. Seinen Humor natürlich. Knapp gesagt: alles.

G:
Zoran ist für mich da. Immer

 

Wenn ihr einander nicht hättet ...

Z:
... wüßte ich nicht, wo ich jetzt wäre. Keine Idee. Ich könnte jetzt zehn Seiten schreiben, was ich meinem guten alten Kumpel zu verdanken habe. Dann könnte man diese zehn Seiten abziehen und wüßte, was mir fehlen würde ohne ihn. Natürlich wäre mein Leben auch so lebenswert, aber wie Marius Müller-Westernhagen schon sang: Aber geiler ist schon.

G:
... wär er nicht für mich da. Niemals.

Erinnert ihr euch an ein besonders schönes, gemeinsames Erlebnis?

Z:
Das wären dann zwanzig Seiten, aber ein besonders, schönes Gemeinsames gebe ich her: Gregor und ich auf dem Motorrad von Frankreich nach Berlin und überall Bodennebel und nadelenge Serpentinen und Gregor fuhr nur den Rücklichtern der Autos hinterher und wir waren so übermüdet und hatten kein Geld für ein Hotel, daß wir uns dann irgendwann in eine Auffahrt legten und mit T-Shirts zudeckten und versuchten zu schlafen. Es war ausgesprochen grausam.

G:
Er war für mich da, als ich ihn brauchte. Wie immer.


Wie lange kennt und mögt ihr euch schon?

Z:
Wir kennen uns seit 21 Jahren und mögen einander aber erst seitdem mir Gregor eines Tages ganz allein in einem Café gegenübersaß und ich erlebte, was für ein Typ er wirklich ist. Das war vor 18 Jahren. Ich habe an dem Tag so viel gelacht, daß mir beim Aufstehen so schwindelig wurde und ich einen Tisch umwarf. Seitdem komme ich von diesem Kerl nicht los. Ideal wäre es, wenn wir schwul wären, aber auch so klappt es ganz gut.

G:
Schon immer.



Ein kurzer Briefaustausch mit einer Schulklasse, die noch Fragen zu touch the flame hatte.

was geschieht eigentlich am ende des buches? was am schluß des buches mit den leuten passiert ist eine gute frage, die ich euch aber nicht beantworten kann. bei mir ist es oft so, daß wenn ich ein buch beende, die geschichte für mich abgeschlossen. die charaktere sind frei ihren eigenen weg zu gehen. was dann so aussieht, daß die charaktere in anderen büchern wieder auftauchen. zum beispiel neil, er wird in die süßen schlampe wieder zurückkehren.

warum das offene ende? das offene ende ist sehr absichtlich. ich war mitten in der geschichte, als ich auf dieses ende stieß und sofort wußte: so und nicht anders darf muß es enden. ich wollte lukas die wahl lassen, was weiter geschieht. indem ich die geschichte einfach mitten im satz beenden, lasse ich alles offen. sogar das nächste wort und das fand ich, war ich lukas schuldig, nach all dem, was er durchmachen mußte.

was sollen die koffer? die koffer sind und bleiben ein geheimnis. das buch sollte verfilmt werden und da wollten die leute vom film, das geld oder irgendwelche diamanten drin sind. das will ich nicht. ich mag diese geheimnisse.

was hat die geschichte mit dir zu tun? vieles an der geschichte ist wahr, denn ich klaue mir viele charakterzüge von den leuten, die ich kenne. ein guter freund verhält sich wie lukas, ein vater ist genau wie ritchie. auch die frauen sind frauen ähnlich, die ich kenne. dann stimmen die örtlichkeiten. die villa ist eine villa, in der ich mal zu besuch war. die straßen sind echt, die parkbank an der elbe ist echt, solche sachen sind mir sehr wichtig. von der handlung her ist alles erfunden, aber das nenne ich ab dem moment nicht mehr erfunden, wo ich es aufgeschrieben habe. dann wird es auf eine eigene art und weise real. alles ist möglich, alles kann passiert sein. so sehe ich das.

woher kam ruprecht und wieso heißt er so? ruprecht kam von ganz woanders her. das schwierige an namen ist ja, das sie passen müssen. hätte ruprecht nicht ruprecht sondern ulli geheißen, wäre es ein anderer charakter geworden. niemand nimmt einen ulli ernst, der so aussieht wie ruprecht. am anfang hatte ich keinen namen für ihn. er war einfach nur ein ER. dann kam beim schreiben dieser name ruprecht in meinem kopf und ich fand, er hatte genau die richtige härte, die zu dem charakter paßte. als ich ihn dann aufgeschrieben und in den text eingefügt hatte, klickte es und die geschichte war stimmig. auf diese weise komme ich zu namen. lukas war von anfang an lukas. das ist immer ein geschenk des himmels, wenn ich den namen sofort habe. ritchie brauchte eine weile. der name mußte auf der einen seite kumpelhaft sein, auf der anderen angeleitet von einem richtigen namen. richard eben und kurz ritchie.

warum spielt die geschichte hauptsächlich in hamburg? das ist recht einfach - viele meiner geschichte spielen in berlin und ich hatte lust mich ein wenig wegzubewegen. außerdem hatte ich zwei moante in hamburg verbracht, was immer praktisch ist, wenn man einen neue location braucht. mir gefiel die reise, die lukas macht. und mir gefiel, daß er es sich mitziehen läßt, weil sein vater der meinung ist, das muß gemacht werden.

woher kommen die TTTs? die drei ts sind eine fiese regelung und ich mußte mich zum glück nie an sie halten. manchmal muß man sich die finger verbrennen, damit man weiß, was gefährlich ist. touch the flame, babe.

wieso der titel und wieso die musik von U2? jedes buch braucht einen soundtrack. lukas hört so gerne u2, weil ich damals diese eine platte von u2 sehr geliebt habe und mit ihr aufgewachsen bin. alles, was u2 danach und davor gemacht hat, mag ich nicht. aber die joshua tree finde ich grandios und wie u2 sich auf dieser platte geben, so ist auch lukas drauf, darum paßt es. außerdem haben die songtexte die geschichte mitgeformt.



Interview 2008 mit einer Zeitschrift - und ich habe doch ernsthaft vergessen, welche Zeitschrift das war.

Sie sind im Alter von 3 Jahren nach Deutschland gekommen, Ihre Muttersprache ist serbokroatisch. Wie haben Sie die Liebe zur Deutschen Sprache entdeckt, in der Sie ja auch Ihre Romane schreiben? Bei mir begann alles mit Büchern. Da mein Familienleben kein großer Spaß war, bin ich in Büchern verschwunden. Sie gaben mir Geborgenheit und Nähe, sie waren immer für mich da und ersetzen auf diese Weise einen Vater, der sich gab wie ein raufender Kumpel, und eine Mutter, die den raufenden Kumpel zu zähmen versuchte und ihren Frust auf den Kindern austobte. Zuhause wurde zwar Serbokroatisch gesprochen, da ich aber alles auf Deutsch las, lebte ich in der Sprache der Schriftsteller und Dichter.

Hat Ihr Vater Ihnen vorgelesen? Was haben Sie von Ihrem Vater gelernt? Bei uns wurde nicht vorgelesen. Vater blätterte in der Sportzeitung, Mutter in romantischen Groschenheften. Die Welt der Bücher gehörte mir ganz allein, ich mußte sie von selbst erobern, was ich mit hungrigem Fieber tat. Ich las alles, was mir in die Finger kam. Es war nicht wichtig, daß ich es verstand. Es war nur wichtig, daß ich las. Kopfnahrung pur. Wenn ich ehrlich, habe ich von meinen Eltern kaum etwas gelernt. Mit neun beschloß ich, nicht so zu werden wie sie. Ich nahm die negativen Dinge und versuchte sie umzukehren. Das klingt nicht nett, aber so sah es bei uns Zuhause aus.

Paul Maar wird oft als Ihr Lehrer oder literarischer Ziehvater bezeichnet. Was hat er Ihnen mit auf den Weg gegeben? Wie ist Ihr Verhältnis heute? Das mit Paul und mir ist ein recht witziger Mythos, von dem ich keine Idee habe, wie der entstanden ist. In meinen Schreibanfängen habe ich Paul öfter Manuskripte geschickt und er hat zurückgeschrieben, was er davon hielt. Eines Tages hat er die Manuskripte weitergereicht und erst beim zweiten Mal gab es einen Treffer. Paul und ich haben uns noch nie privat getroffen, wir haben immer wieder Momente auf der Messe, die ungefähr fünf Minuten lang dauern, dann driften wir davon. Ich glaube, eines Tages werden wir uns in Ruhe sehen, bis dahin kann der Mythos weiterbestehen. Meine Vorbilder und Lehrer sind Hunderte von Schriftstellern, die mir Sprache und Stil beibrachten. Mit jedem Jahre werden es mehr.

In vielen Ihrer Geschichten behaupten sich Kinder, z.B. Eddie, mit Witz und Tücke in der Welt der Erwachsenen. Muss man ein rebellisches Herz haben, um heute einigermaßen unbeschadet groß zu werden? Kinder haben eigentlich immer ein rebellisches Herz, daß ihnen allzuoft gebrochen wird. Ein Kind ohne rebellisches Herz ist wie ein Kopf ohne Gedanken. Du klopfst dagegen und nicht passiert. Ich denke, wenn den Kindern Raum und Zeit gegeben wird, sich selbst zu finden, ohne daß sie gefördert, gefördert und gefördert werden oder beim Pinkeln einen Fahrradhelm tragen müssen, dann werden sie zu echten Personen und sind wer. Unbeschadet wird niemand groß, das wäre so, als würden wir in der Kindheit ohne Krankheiten sein - das Immunsystem verkümmert, die Realität wird zu einem Albtraum. Wir müssen gute wie schlechte Erfahrungen sammeln, weil sie unseren Charakter prägen und uns andere Menschen verstehen lassen.

Wo finden Sie Vorbilder für die Kinder in Ihren Geschichten? Da sind eine Menge alter Seelen in mir. Anders kann ich es mir nicht erklären, denn ich habe wenig mit Kindern zu tun und recherchiere nicht, indem ich Kinder oder Jugendliche frage, was sie denn spannend finden. Ich lebe in einer Welt, die aus Erwachsenen besteht. Für mich ergeben Kinder und Jugendliche oft spannendere Charaktere - sie besitzen mehr Humor, mehr Mut und mehr Verrücktheiten. Außerdem traue ihnen mehr zu als Erwachsenen, denn ihnen steht die ganze Welt offen, sie sind am Anfang, deswegen erzähle ich gerne von ihnen.

In touch the flame beschreiben Sie einen lange von der Familie abwesenden Trennungsvater, in Cengiz und Locke ist der Vater ein despotischer Tyrann - Männer, die in ihrer Familie eher am Rand stehen und wenig geachtet werden. Sind das für Sie typische Väter heute? Nein, das sind die Väter, die ich aus meiner Kindheit kenne. Väter in der Gegenwart sind mir eher fremd. Eine Familie auf reinem Glück zu gründen kommt nicht oft vor. Frau und Mann müssen wollen, wenn einer nicht will und nur mitmacht, weil er dem anderen einen Gefallen tun will, entsteht ein Ungleichgewicht, das meist das Kind ausbaden muß. Ich glaube, Väter sind bei mir immer ein Thema, weil mein Vater nie wußte, was ein Vater zu tun hatte. Ich verstand nie, was das sollte und warum er nicht einfach tat, was alle Väter taten. Nähe. Gespräche. Verständnis. Ich glaube, er war sehr in der Tradition seines eigenen Vaters verhaftet.

Wie sieht für Sie ein guter Vater aus, den Kinder - und auch die Partnerin - lieben und achten können? Ein guter Vater - wie jeder Mensch und auch wie jede Mutter - sollte sich an erster Stelle lieben und nicht daherkommen wie ein Samariter und alle seine Gefühle für die Familie weggeben, denn das hinterläßt ein Loch in der eigenen Seele und wer will das schon. Aber ich bin der falsche, den wir hier fragen. Ich habe nicht vor Vater zu werden, bin kein großer Familienfan und ein noch schlechterer Ratgeber.

Derzeit erscheint Ihr neuer Roman Die tollkühnen Abenteuer von JanBenMax in Deutschland. Worauf dürfen wir uns freuen? Die einzigen Kinder, mit denen ich zu tun habe, sind meine Paten und in die bin ich sehr vernarrt. Über diese drei Jungen wollte ich nie schreiben. Und jetzt ist es passiert und sie und ihre Abenteuer auf die Welt losgelassen. Das Buch hat sechs Geschichten in denen die Mutter einmal in der Woche ihre Jungs für eine Stunde mit Frau Metzler alleinläßt. JanBenMax schaffen Frau Metzler wortwörtlich aus dem Weg und die Abenteuer beginnen - unter anderem eine Reise zum Mond, eine auf den Grund des Ozeans und leider auch eine Reise in die Nase von Frau Metzler.